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«Wir brauchen noch eine Männerstimme»

Wie fühlt es sich an, einer der einzigen Französischlehrer der KZO zu sein? Wie schwierig es für einen Mann ist, auf diese Frage zu antworten, zeigte das Gespräch mit Christoph Zollinger.

14. Oktober 2025

Im Zusammenhang mit den letzten zwei Artikeln zum Thema «Geschlechterverteilung an der KZO» haben wir nun ein Interview mit dem Französischlehrer Christian Huber geführt. Als langjähriger Lehrer an der KZO gehört er zu den wenigen männlichen Lehrpersonen im Fachkreis Französisch. In diesem Interview teilt er seine Erfahrungen im Unterricht und im Lehrerzimmer in Bezug auf Geschlechterstereotypen.

Sollten Ihrer Meinung nach mehr männliche Lehrpersonen Französisch unterrichten?

Stimmt, warum ist es eigentlich wünschenswert? So spontan gesagt, denke ich, dass ich auch gerne mehr Pausengespräche mit Männern führen würde. Manchmal sind die Themen bei Männergesprächen etwas anders. Andererseits ist mir meine Antwort wiederum unangenehm, weil es eigentlich kein typisches Männer- und Frauenverhalten gibt. Es ist eben nicht alles schwarz-weiss – erst recht nicht bei weitverbreiteten Stereotypen.

Warum ist Französisch im Vergleich zu Deutsch und Englisch so unausgeglichen? Wieso gibt es ausgerechnet im Fach Französisch so einen grossen Mangel an männlichen Lehrpersonen?

In den letzten Jahren hat sich Englisch auf Kosten des Französischen durchgesetzt. Es ist eben «nur» unsere Landessprache und nicht die globale Sprache. Aber ob das eine Antwort auf Ihre Frage sein kann? Oder liegt es vielleicht daran, dass viele Schüler*innen schwer für unsere zweite Landessprache zu begeistern sind? Das Erlernen der französischen Sprache ist von Beginn an schwierig, die Fortschritte sind eher klein. Haben es Männer manchmal gerne etwas leichter und unterrichten lieber eine Sprache, bei der es zügig vorwärtsgeht? Ganz allgemein lässt sich auch sagen, dass man als Gymilehrer*in nicht wirklich Karrierechancen im Beruf hat, so wie es sich manche Männer vielleicht wünschen würden. Zusätzlich wurden Gymilehrer vor dreissig, vierzig Jahren sehr gut, fast schon zu gut bezahlt. Zwar ist der Beruf immer noch gut bezahlt, aber eben nicht mehr so wie früher. Ein anderer Grund ist vielleicht das Wesen des Fachs selbst, denn Französisch ist eine Sprache und dient der Kommunikation. Frauen wird stereotypisch ein grösseres Interesse an sozialen Themen zugeschrieben, sie sollen bessere Zuhörerinnen als Männer sein. Und wenn wir uns die Verteilung im jetzigen Französisch-Fachkreis anschauen, denke ich schon, dass da etwas Wahres dran ist. Meiner Meinung nach bewerkstelligen die Französischlehrerinnen momentan enorm viel in ihrem Beruf. Ob Männer genau dasselbe leisten könnten wie sie? Was das nun wieder über mich aussagen könnte, lasse ich gerne mal beiseite (schmunzelt).

Wieso haben Sie sich damals für die französische Sprache entschieden?

Durch ein indirektes Kompliment. Ich war im Gymnasium, in der 4. Klasse. Mein Deutsch- und Klassenlehrer kam auf mich zu und erzählte mir die folgende Episode: Er habe im Lehrerzimmer soeben einem Gespräch zwischen meinem derzeitigen und meinem ehemaligen Französischlehrer zugehört, wobei mein aktueller Französischlehrer seinen Vorgänger gerühmt habe, wie toll er denn bei mir das Französisch hingekriegt habe. Was mir an dieser Episode besonders gefällt, ist die (indirekte) Ermunterung: Sag jemandem, dass er etwas kann – und schon kann er’s. Zumindest ein wenig. Und dann war da noch meine Urgrossmutter, die einen ihrer fünf Söhne mit doppeltem Vornamen Victor Hugo getauft hat. Offenbar lag also schon immer etwas französisches Erzählerblut in meiner Wiege.

Wieso bevorzugen Sie die Sprachen gegenüber den Naturwissenschaften?

Ich persönlich könnte kein Fach wie Chemie unterrichten, weil mir die Kommunikation mit den Schüler*innen sehr am Herzen liegt. Der Sprachunterricht lässt sich viel freier gestalten, manchmal kann man im Unterricht einfach plaudern, ins Reden kommen und (natürlich auf fördernde Art und Weise) herumblödeln.

Was unterscheidet einen Lehrer von einer Lehrerin?

So allgemein gestellt lässt sich diese Frage nicht beantworten. Ich erlebe meine Kolleg*innen ja nur ganz selten beim Unterrichten. Und sie mich auch nicht. Alle Lehrpersonen sind sehr unterschiedlich – und das ist gut so. Wenn ich über mich selbst nachdenke, kann es sein, dass ich vor allem mit jüngeren Schülern einen etwas direkteren Umgang pflege. Zum Beispiel, wenn ich einem U-Schüler sagen will, was «Sache» ist – mit einem Wort und ganz unter Männern. Und das geniesse ich dann auch.

Was sind Ihre Erfahrungen als männliche Lehrperson in einem von Frauen dominierten Fachkreis?

In den Französischlektionen fällt mir mein Geschlecht nicht auf, weil ich alleine unterrichte. Aber wenn ich in der Fachkreissitzung als einziger Mann von zwanzig Frauen umringt bin, fühle ich mich schon ein bisschen als Exot. Die Verteilung von Frauen und Männern in unserem Fachkreis hat sich im Laufe der gut 30 Jahre, seit denen ich an der KZO unterrichte, komplett umgedreht. Dazu eine kleine Anekdote: Wir haben vom Fachkreis her ein Lektürekränzli, bei dem nur Frauen mitmachen. Einmal haben sie mich gefragt, ob ich auch teilnehmen möchte. «Wir brauchen noch eine Männerstimme», sagten sie mir. Ich musste lachen. Früher war das genau andersherum.

Wie nehmen Sie den Unterschied zwischen Schülerinnen und Schülern im Unterricht wahr?

Seit Jahren wird gesagt, dass das Gymnasium eher etwas für Frauen als für Männer sei. Ich würde dem nicht völlig zustimmen, aber ich verstehe trotzdem, warum es mehr Mädchen als Jungen an Gymis gibt. Ich nehme im Unterricht wahr, dass viele Mädchen gewissenhafter arbeiten und auch selbstkritischer sind. Jungs strecken hingegen viel öfter auf, auch wenn sie sich ihrer Antwort nicht ganz sicher sind. Es gibt Umfragen, bei denen sowohl Frauen als auch Männer nach ihrem Abschluss rückblickend ihre Schulen bewerten. Ein Grossteil der jungen Männer gibt sich sehr selbstbewusst: Sie hätten alles gelernt, was es zu lernen gibt. Mädchen überlegen eventuell etwas weiter und reflektieren mehr. Sie sagen sich: «Ich habe das, das und das gelernt, aber hier gäbe es noch Verbesserungspotenzial, usw.»

Warum gibt es nicht mehr so viele männliche Französischlehrpersonen?

Ich bin mir nicht sicher. Eigentlich wäre vieles schon da: ein guter Lohn und viel Freiheit im Unterricht. Momentan hat unser Fachkreis zwei junge Männer als Zuwachs bekommen, das macht das Verhältnis zwar nicht viel ausgeglichener, aber es ist ein kleiner Fortschritt. An anderen Kantis ist die Verteilung, soweit ich weiss, besser. Hinzu kommt, dass Französisch keinen Rückenwind hat – es ist also ein gefährdetes Fach. Um dem mangelnden Interesse entgegenzuwirken, schlage ich sogar paradoxerweise vor, dass die Schüler*innen das Fach nach der fünften Klasse abwählen dürften. Oder eben jene Schüler*innen, die ihre Französischkenntnisse vertiefen möchten, das Fach weiterhin – unter Gleichgesinnten – belegen könnten. So würde vielleicht weniger Widerwillen entstehen. Vielleicht würde dadurch mehr Raum frei, damit Männer sehen können, dass auch Französisch Entwicklungschancen bereithält. Auf jeden Fall sollten die jungen Männer auch ermuntert werden von Vorbildern.

Wie stellen Sie sich die zukünftige Entwicklung in Ihrem Fachkreis vor?

Derzeit bin ich sehr zufrieden mit unserem Fachkreis. Meiner Ansicht nach gibt es zahlreiche Themen, die weit vor der Geschlechterverteilung zur Diskussion stehen sollten. Das Thema selbst ist zwar interessant, im schulischen Alltag haben jedoch andere Fragestellungen Vorrang. Ein Beispiel für ein solches Problem wäre die Überbelastung an den Schulen, vor allem auf Seiten der Schüler*innen. Und dann wäre da die «Verzettelung»: Wir machen alle zu viele unterschiedliche Dinge gleichzeitig. Weniger wäre mehr, weniger Fächer für die Schüler*innen wäre mehr.

Abschliessende Betrachtung

Mit diesem Interview schliessen wir das Thema der Geschlechterverteilung an der KZO ab. Im Gespräch mit Herrn Zollinger haben sich zur Problematik der Verteilung im Fachkreis Französisch viele verschiedene Aspekte herauskristallisiert. Zum einen bestätigt er die Annahme, dass das Fach an sich weniger beliebt ist, insbesondere bei Jungen. Zusätzlich geht er auf den Beruf des Gymnasiallehrers ein, der weniger Karrierechancen bietet als beispielsweise Berufe in der Privatwirtschaft.

Natürlich ist nichts in dieser Thematik eindeutig, denn es gibt auch immer wieder Abweichungen. Männer sind nicht nur analytisch und erfolgsorientiert, und Frauen sind nicht nur sozial und kommunikativ veranlagt. Ein erster Schritt bestünde sicher darin, niemanden aufgrund seines Geschlechts in Stereotype einzuordnen. Wir sind mehr als unser Geschlecht  und gleichzeitig ist das Geschlecht ein zentrales Kriterium unserer Identität.

Dieser Beitrag ist eine Zweitveröffentlichung. Der Text erschien zuerst in der KZO-Zeitung «KUSS».