Salut, la France!

Die 16-jährige Gymnasiastin Ronja Inauen verbrachte die letzten drei Monate in Südfrankreich im Sprachaustausch. Über die Vorbereitungen berichtete sie uns zu Beginn des Jahres. Nun tauchen wir mit ihr in zwölf wundervolle Wochen im Ausland ein, samt und trotz Corona, mit Sprachbarrieren, neuen Freundinnen und Freunden und vielen Ausflügen.

16. April 2021

5. Januar 2021

Ich kann nicht glauben, dass ich das sage, aber ich bin gerade echt froh, Homeschooling zu haben. Heute ist der zweite Tag der Vertiefungswoche, in drei Tagen geht’s los in den Schüleraustausch … Ich habe den grossen Koffer geholt und begonnen, alles, was mit nach Frankreich soll, umzustapeln. Für die Schule habe ich nicht mehr wirklich gearbeitet, aber was soll’s. Wenn ich nach drei Monaten zurückkomme, macht diese Woche auch keinen Unterschied mehr. Im Allgemeinen bin ich heute echt unproduktiv gewesen. Mit Aufräumen bin ich kaum vorangekommen. Die To-Do-Liste scheint einfach nicht zu schrumpfen und in meinem Zimmer sieht es immer noch schlimm aus. Hilfe!

7. Januar 2021

Als ich klein war, dauerten die Tage vor einem grossen Event immer mindestens doppelt so lange. Aber leider ist diese Phase jetzt wohl vorbei, denn von der letzten Woche habe ich so gut wie nichts mitgekriegt. Heute habe ich den Koffer und meinen grossen Rucksack gepackt, jetzt fehlt nur noch der Tagesrucksack. Ich habe alles so gut wie möglich beendet und meinen Wecker für morgen noch eine Viertelstunde früher gestellt. Ich glaube, ich bin bereit.

8. Januar 2021

Puh, bin ich müde. Kein Wunder, willst du wissen wieso? Heute bin ich um fünf Uhr morgens aufgestanden, habe mich unter grosser Aufregung bereit gemacht und von meinen Geschwistern und meinem Vater verabschiedet. Meine Mutter hat mich im Zug bis Winterthur begleitet. Von dort aus ging es dann allein weiter. Auf der Fahrt nach Genf habe ich den Gratismonat bei Netflix voll ausgekostet, Musik gehört, meinen Smoothie getrunken, meinen Znüni gegessen und die Sonne genossen. In Genf habe ich die Grenze überquert. Am Zoll habe ich zum ersten Mal Französisch sprechen müssen. Ich habe mir grosse Mühe gegeben, aber es ist mir sehr schwergefallen. Der Zöllner hat überhaupt kein Verständnis und keine Geduld mit mir gehabt und seine Maske war auch ziemlich kontraproduktiv. Aber ich habe ihm dann doch klarmachen können, dass ich trotz meines schweren Gepäcks und meinen schlechten Französischkenntnissen keine Gefahr darstelle, sondern einfach nur in die Provence reisen und dort einige Monate verbringen möchte.

Um von Genf nach Lyon zu gelangen, habe ich mit einem alten, komisch riechenden Regionalzug übers Land tuckern müssen. Als ich dann im TGV nach Aix-en-Provence sass, habe ich gar nicht glauben können, dass ich bereits mitten im grössten Abenteuer meines Lebens stecke und bis jetzt trotz Zugverspätungen und Sprachproblemen alles gut gegangen ist. Als ich schlussendlich in Aix angekommen bin, bin ich meinen Gasteltern direkt in die Arme gelaufen. Wir sind zusammen zu meiner neuen Schule gefahren, wo wir meine gleichaltrige Gastschwester abgeholt haben. Zum Znacht gab’s Gemüsegratin, naja nicht gerade mein Lieblingsessen, aber was soll’s, lächle! Am Abend habe ich meine Gastgeschenke verteilt und mit meinen beiden Gastschwestern einen Film geschaut.

9. Januar 2021

Den heutigen Ausflug nach Les Baux-de-Provence habe ich eingepackt in Mütze und Winterjacke verbracht und trotzdem gefroren. Dafür haben wir direkt nach unserer Rückkehr nach Hause eine heisse Schoggi getrunken. Mit meiner kleineren Gastschwester habe ich bereits ein bisschen Freundschaft geschlossen. Heute Morgen auf dem Marché ist sie ganz begeistert davon gewesen, dass ich «Fangis» mit ihr gespielt habe. Mit meiner anderen Gastschwester ist es ein bisschen schwerer. Sie arbeitet sehr viel für die Schule, deshalb ist es mir noch nicht so richtig gelungen, sie kennenzulernen. Mein Gastbruder ist sehr ruhig und verbringt die meiste Zeit in seinem Zimmer. Allerdings bin ich bei den Mahlzeiten jeweils froh um ihn, denn so bin ich nicht die einzige, der es schnell zu laut wird.

11. Januar 2021

Hilfe, was mache ich hier eigentlich? Wieso gehe ich freiwillig drei Monate in Frankreich zur Schule? Ich habe keine Chance, die Lektionen auch nur so ungefähr zu verstehen, geschweige denn mitzuschreiben. Und ja, vielleicht bin ich ein bisschen pessimistisch, aber wenn du diesen Tag erlebt hättest, ginge es dir genau gleich. Was passiert ist? Ganz einfach: Heute ist mein erster Schultag gewesen. Alles hat sehr gut und normal begonnen. Meine Gastschwester hat mir die Schule gezeigt und mir einige Leute aus meiner Klasse vorgestellt. Dann bin ich mit diesen zum Unterricht gegangen. Hier beginnt der Horror. Zuerst aber einige Vorinformationen: In meiner Schule dauern die Lektionen 55 Minuten. Es gibt zwei Pausen, eine am Morgen und eine am Nachmittag, ausserdem die Mittagspause. Grundsätzlich hat man am Morgen vier und am Nachmittag fünf Lektionen. Mein Tag hat mit einer Doppelstunde Geschichte begonnen. Die Lehrerin hat einen Vortrag gehalten und erwartet, dass wir alles mitschreiben. Für mich ist das ein absoluter Schock gewesen. Das schreckliche Essen der Cafeteria hat auch nicht gerade zu meiner guten Stimmung beigetragen, doch beim Essen ist es richtig amüsant geworden, obwohl ich nur die Hälfte verstanden habe. Der Nachmittag versprach besser zu werden – Englisch und Deutsch sind schliesslich meine Stärken – bis schliesslich jemand eine Doppelstunde Französisch erwähnt hat. Wie ich die überlebt habe? Keine Ahnung, aber jetzt bin ich auf jeden Fall zu Hause. Ich bin erschöpft und mir platzt gleich der Kopf. Wie soll ich die nächsten drei Monate überleben?

16. Januar 2021

Heute ist Samstag und ich habe ausgeschlafen. Wie meine erste Woche in Frankreich gewesen ist? Eigentlich so weit ganz gut. Ich bin jeden Abend sehr erschöpft. Das Wetter ist immer noch schrecklich. In der Nacht auf Mittwoch hat es – 6 Grad gehabt. Hallo …? Ich bin in der Provence. In der Schweiz fällt Schnee in rauen Mengen, und wir sitzen hier mit Kälte und Regen. Fair ist anders.

19. Januar 2021

Endlich haben wir schönes, warmes Wetter. Ich habe meine Hausaufgaben in der Hängematte gemacht und meine Vitamin D-Reserven mal wieder so richtig aufladen können.

20. Januar 2021

Gestern Abend: Stromausfall. Kein Problem, oder? Als ich dann aber meine Computerbatterie aufgebraucht, mit meinen Gastschwestern eine Stunde lang Uno bei Taschenlampenlicht gespielt und mit der ganzen Familie ein Candle-Light-Dinner genossen habe, habe ich die Nase voll gehabt. Ob wohl heute Abend, wenn ich nach Hause komme, das Licht wieder brennen wird?

31. Januar 2021

Ich bin jetzt fast einen Monat hier. Ich habe mich gut eingelebt und fühle mich richtig wohl. Ich habe echt Glück. Ich werde noch zwei Monate in der Provence, bei mittlerweile richtig angenehmem Wetter, einer perfekten Gastfamilie und in einer tollen, wenn auch etwas lauten, Klasse verbringen. Ich lerne Französisch zu sprechen und bekomme die Provence zu sehen. Ich weiss ja nicht, wer dazu nein sagen würde. Apropos die Provence zu sehen bekommen: Wir machen praktisch jedes Wochenende einen Ausflug. Heute haben wir der Fontaine-de-Vaucluse einen Besuch abgestattet. Sie hat zwar gerade nur wenig Wasser, aber es ist trotzdem wunderschön gewesen.

2. Februar 2021

Okay, jetzt verstehe ich, wieso man nein sagen könnte: 10 Tage Quarantäne – mein Gastvater ist positiv auf Corona getestet worden. Das bedeutet für mich Homeschooling – auf Französisch. Es bedeutet aber auch mehr Zeit mit meiner Gastfamilie. Zuerst machen wir allerdings alle einen Covid-Test. Juhuu …

5. Februar 2021

Momentan ist die Sorge ums Homeschooling meine kleinste. Der erste Covid-Test ist zwar negativ gewesen, jedoch habe ich einen zweiten gemacht, da ich seit drei Tagen mit einer üblen Erkältung im Bett liege. Heute ist das Resultat gekommen: positiv.

15. Februar 2021

Endlich geht’s mir wieder besser. Ich habe die letzten zwei Wochen nichts gemacht. Ich habe im Bett gelegen und probiert zu schlafen, allerdings habe ich immer starke Kopfschmerzen gehabt. Heute gehe ich zum ersten Mal wieder zur Schule. Die Fallzahlen steigen immer weiter. Wir steuern wohl auf einen Lockdown zu. Heute Abend hält die Regierung eine Ansprache. Ich hoffe einfach, dass die Schulen offen bleiben.

17. Februar 2021

Was aus dem Lockdown geworden ist? Er ist aufgeschoben. Die Massnahmen sind die gleichen wie vorher. Ich kriege davon nicht wirklich etwas mit. Klar, einige Dinge sind nicht möglich. Vor allem im Bereich des Tourismus ist einiges geschlossen. Das ist zwar schade, aber so sehe ich andere Dinge. Die Ausgangsperre habe ich noch nie zu spüren bekommen, obwohl ich manchmal sogar noch später auf dem Heimweg von der Schule bin. Wie dem auch sein, ich geniesse mein Leben hier in vollen Zügen. Heute habe ich beispielsweise Churros gegessen und mit meinen Gastschwestern draussen zuerst Hausaufgaben gemacht und später gespielt. Mein Tag ist noch perfekter geworden als ich erfahren habe, dass ein Paket für mich angekommen ist – 4 Kilo feine Schweizer Schoggi.

20. Februar 2021

Schon mal was von einem Déjà-vu gehört? Heute habe ich eines gehabt. Die zweiwöchigen Ferien haben heute begonnen. Ich habe mit meiner Gastfamilie einen Ausflug nach Avignon gemacht. Vor eineinhalb Jahren bin ich schon einmal dort gewesen. Als ich dann heute in Avignon aus dem Auto gestiegen bin, bin ich einen kurzen Moment geschockt gewesen.

Alles sieht immer noch genau gleich aus: die gleichen Läden, die gleichen Glacestände, das gleiche Karussell, die gleichen Tauben. Der einzige Unterschied ist, dass alle Leute Masken tragen. Natürlich bin ich mit meiner Gastschwester Karussell gefahren, wir haben ein Glace gegessen und uns die berühmte Brücke von Avignon angesehen.

28. Februar 2021

Die zweite Ferienwoche hat begonnen und ich habe noch mehr Vitamin D aufgetankt – in Cassis. Wir haben eine kleine Wanderung gemacht und ich habe mit meiner Gastschwester am Strand und im/am Meer gespielt. Da die Badeanzüge zu Hause geblieben sind, waren unsere Kleider danach vollkommen in Salzwasser getränkt. Beim Zmittags-Picknick in der Sonne sind diese aber schnell wieder getrocknet.

1. März 2021

Als ich hier angekommen bin, hat mein Gastvater mich gefragt, ob ich Lust hätte, mal ein Wochenende in Cannes bei seinen Eltern zu verbringen. Logischerweise habe ich zugesagt, wer würde denn schon so eine Möglichkeit ausschlagen? Heute ist es nun so weit gewesen: drei Tage an der Côte d’Azur. Nach einer langen Fahrt sind wir wohlbehütet angekommen. Beim Zmittag bin ich ziemlich überrascht gewesen, als die Köchin immer weitere Fleischgerichte aufgetischt hat, Beilagen sind fast nicht vorhanden gewesen. Für mich als Nichtfleischtiger ist die Situation ein bisschen schwierig gewesen. Erklär mal jemandem, der sich praktisch von Fleisch ernährt, dass du es nicht magst. Am Nachmittag habe ich mit meiner Gastschwester und meinem Gastvater einen Ausflug nach Gourdon, einem kleinen, sehr schönen Städtchen, gemacht. Schlussendlich haben wir noch auf Glacé-Suche nach Cannes begeben. Wir wurden schnell fündig und haben uns damit ans Meer gesetzt.

3. März 2021

Normalerweise findet jeden Frühling das berühmte Festival von Cannes statt. Die grossen Stars gehen über den roten Teppich. Genau auf diesem Teppich bin ich gestern gestanden. Leider sind die drei Tage bereits wieder vorbei und die Heimfahrt stand an. Allerdings haben wir dieses Mal nicht die Autobahn genommen, sondern sind der Meeresküste entlanggefahren. In St. Raphael haben wir unseren obligatorischen Glacé-Halt gemacht.

4. März 2021

Im Semester 5.1 müssen alle Schüler*innen der KZO einen Stage machen. Das heisst, sie müssen zwei Wochen im französischsprachigen Raum ein Praktikum absolvieren. Ich habe schon vor langem die Idee gehabt, diesen Stage hier in der Umgebung zu machen. Heute bin ich mit meinem Gastvater auf die Suche nach einem geeigneten Ort gegangen. Ich habe zwei Zusagen für mein Praktikum. Mein Favorit ist klar der Platz in einer Tierarztpraxis.

12. März 2021

Heute ist mir aufgefallen, wie schnell die Zeit vorbeigeht. In drei Wochen bin ich schon fast wieder zu Hause. Wie schade. Ich würde gerne noch länger bleiben. Aber ich freue mich auch darauf, nach Hause zu kommen, endlich wieder gewohntes Essen zu haben, meinen Hobbies nachgehen zu können und vor allem, alle wiederzusehen. Also werde ich jetzt wohl einfach die verbleibende Zeit geniessen. Ausserdem komme ich ja im Herbst nochmals hierher.

18. März 2021

Meine Schwester hat heute Geburtstag. Leider kann ich ja nicht richtig dabei sein. Aber ich habe heute Morgen mit ihr telefoniert und ihr beim Kuchenessen und Geschenkeauspacken zugesehen. Ach, ich freue mich doch irgendwie mehr darauf, nach Hause zu kehren, als mir bewusst ist.

20. März 2021

In zwei Wochen bin ich bereits wieder zu Hause, so will ich jetzt auf meinen Austausch zurückblicken: Es ist definitiv das grösste Abenteuer meines Lebens gewesen. Ich bin so dankbar dafür, dass alles rund gelaufen ist. Ich habe eine super Gastfamilie und eine echt tolle Klasse. Ausserdem habe ich nie Heimweh oder grössere Probleme gehabt, alle waren immer sehr nett zu mir. Ich freue mich, wieder nach Hause zu gehen und bin sehr gespannt, was sich dort alles verändert hat in dieser Zeit. Aus meinem Austausch nehme ich viele wunderschöne Erinnerungen mit nach Hause. Mein Französisch ist viel besser geworden und ich habe hier einmalige Momente erlebt, die mir immer in Erinnerung bleiben werden. Jedem, der mich fragt, werde ich einen Schüleraustausch wärmstens empfehlen! Ich freue mich so darauf, im Herbst wieder hierher zu kommen, aber zuerst freue ich mich jetzt darauf, nach Hause zu gehen.

Danke, dass du mich begleitet und mir in allen Situationen zugehört hast!