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Zwischen Rausch und Risiko

Der eine kifft, die andere trinkt. Und beide können die Finger nicht vom Handy lassen. Oder vom Gamen. Oder vom Shoppen. Die Jugend von heute stösst sich die Hörner ab, probiert aus, lebt. Genau so, wie es die Jugend von gestern getan hat. Der Grat zwischen Rausch und Risiko ist oft schmal. Gut, gibt es die Suchtprävention.

22. Juli 2022

Ein paar Zahlen vorweg: Unter Jugendlichen ist Alkohol Todesursache Nummer 1. 15- bis 24-Jährige sterben am häufigsten im Zusammenhang mit Alkoholkonsum. Rauchen wiederum ist die Nummer 1 unter den vermeidbaren Gesundheitsrisiken. Kein anderes Produkt ist für so viele verlorene Jahre an Lebensqualität verantwortlich. Derart offensichtlichen Schaden richten weder Cannabis, Medikamente noch sonstige Süchte an. Das Gefahrenpotenzial ist aber auch hier verführerisch gross.

Suchtprävention im Kanton Zürich

Das soziale Netz, das Jugendliche mit Suchtproblemen auffängt, ist im Kanton Zürich sehr engmaschig geknüpft. Die kantonale Suchtprävention unterhält neun regionale Suchtpräventionsstellen (RSPS). Diese sind zuständig für die präventive Grundversorgung und setzen sich dafür ein, dass Suchterkrankungen gar nicht erst entstehen. Besonders gut wirkt Suchtprävention, wenn sie in die Schulentwicklung eingebettet ist. Hier findet sie in mehreren Handlungsfeldern statt:

  • Im Unterricht und in Projekten werden suchtpräventives Wissen und Handeln vermittelt und Lebenskompetenzen wie Konfliktfähigkeit, Beziehungsfähigkeit etc. trainiert.
  • Früherkennung und Frühintervention mit einem schulhauseigenen Handlungsplan stellen sicher, dass gefährdete Jugendliche erkannt und unterstützt werden.
  • Zusammenarbeit und Vernetzung mit Eltern, Lehrbetrieben und Stellen aus der Jugendarbeit und Prävention stärken Jugendliche und das Schulteam.

Die Schulen werden in diesen Handlungsfeldern von der Fachstelle Suchtprävention des Mittelschul- und Berufsbildungsamts (MBA) unterstützt. Seit 1998 hat die Fachstelle über 600 Projekte und Aktivitäten an Berufsfach- und Mittelschulen methodisch und finanziell unterstützt. Projekte sind Vorhaben, die eine Schule mithilfe der Methoden des Projektmanagements selber lanciert, während Aktivitäten wie Theater, Workshops oder Ausstellungen fixfertig eingekauft werden.

Darüber hinaus bietet die Suchtprävention zahlreiche Kurse, Schulungen und Informationsbroschüren an, die sich mit Themen wir Früherkennung und Frühintervention befassen. Die verschiedenen Angebote sind in der Regel kostenlos.

Frühintervention lohnt sich

«Ich habe eine Beobachtung gemacht, die mich beunruhigt. Wie gehe ich vor? Wen beziehe ich intern wann mit ein? Wie spreche ich Betroffene auf ihre Situation an? Wie motiviere ich sie für Veränderungen? Wie kann ich sie stärken? Wie binde ich Familienangehörige ein? Welche externen Stellen können der Person, um die ich mich sorge, weiterhelfen?»

Solche und ähnliche Fragen lassen sich leichter beantworten, wenn ein verbindlicher Handlungsplan vorliegt. Dieser definiert, wer wann was zu tun hat, und vermittelt allen Beteiligten Sicherheit. Dazu Dagmar Müller, die Leiterin Prävention und Sicherheit beim MBA: «Wir begleiten die Schulen bei der Entwicklung eines solchen Handlungsplans. Unser Angebot umfasst Projektbegleitung, Prozessmoderation, Fachberatung, Weiterbildung und Coaching. Die Bedürfnisse der Schule sind unser Ausgangspunkt. Dann legen wir gemeinsam fest, welche Schritte notwendig sind.»

Die Suchtprävention Kanton Zürich setzt schon seit vielen Jahren auf Früherkennung und Frühintervention. Viele Instrumente und Vorgehensweisen hat sie selbst entwickelt. Ihre Erfahrung und Kompetenz stellt sie den Schulen unentgeltlich zur Verfügung.

Hinschauen und handeln

Die grösste RSPS ist die Suchtpräventionsstelle der Stadt Zürich. Das Team engagiert sich für die Gesundheit der Menschen in Zürich und für eine Entwicklung ohne Sucht und Abhängigkeit. Es informiert und begleitet Kinder, Jugendliche, Eltern und Erwachsene – und sensibilisiert zu allgemeinen Themen der Suchtprävention, neuen Erkenntnissen aus Praxis und Wissenschaft sowie zu Substanzen und Verhaltenstendenzen.

«Wir engagieren uns für einen selbstverantwortlichen Umgang mit Suchtmitteln – in der Familie, in der Schule, am Arbeitsplatz oder in der Freizeit», sagt Selina Chanson, Bereichsleiterin für Schule & Bildung.

«Wichtig ist uns, dass Suchtgefährdung frühzeitig erkannt wird und rechtzeitig sinnvolle und wirksame Massnahmen getroffen werden können. Wir unterstützen Fachpersonen aus Schule, Ausbildung, Freizeit und Betreuung mit Beratungen, Coachings, Weiterbildungen und Unterrichtsmaterialien, und wir stehen ihnen bei der Erarbeitung von Konzepten zu Suchtprävention, Gesundheitsförderung und Jugendschutz mit Rat und Tat zur Seite. Im schulischen Bereich begleiten wir auch Elterngremien bei suchtpräventiven Themen und stellen ihnen diverse Elternbildungsangebote zur Verfügung.»

Es versteht sich von selbst, dass das Thema Suchtprävention auch die Zürcher Mittelschulen betrifft. Schulleitung und Lehrpersonen sind immer wieder mit dieser Problematik konfrontiert. Es braucht ein feines Sensorium, um frühzeitig zu erkennen, dass sich das Verhalten einer Schülerin verändert oder ein Schüler plötzlich seine Leistung nicht mehr bringt. Ist das nun eine vorübergehende Schwäche, oder deutet dies auf eine Gefährdung oder gar Krise hin?

Ein frühzeitiges Wahrnehmen, eine klare Haltung der Schule sowie ein offenes Gespräch mit betroffenen Schüler*innen und ihren Eltern können eine ungünstige Entwicklung verhindern. Solche Gespräche benötigen eine sorgfältige Vorbereitung und Fingerspitzengefühl, damit gemeinsam Ziele und Abmachungen getroffen werden können, die auf vorhandenen Ressourcen aufbauen.

Das RSPS der Stadt Zürich bietet zu diesem Thema diverse Weiterbildungskurse an und unterstützt Schulen bezüglich Früherkennung und Frühintervention mittels Prozessbegleitung für Schulleitende und Fachleute der Schulsozialarbeit.

Hilfe zur Selbsthilfe

Im Mittelpunkt all dieser Massnahmen stehen aber die Jugendlichen selbst. «Natürlich brauchen wir Strukturen und Handlungspläne, um gefährdeten jungen Menschen Hilfe zu gewähren und sie in Krisen unterstützen zu können», sagt Selina Chanson, «aber ganz wichtig ist auch die Selbsterkenntnis. Es ist überhaupt nicht leicht, sich einzugestehen, dass etwas schiefläuft. Noch viel schwieriger aber ist es, sein Verhalten zu ändern.»

Damit Schüler*innen eine Standortbestimmung bezüglich ihrem Konsumverhalten durchführen können, bietet die Stadt Zürich einen kostenfreien Risiko-Check für Jugendliche ab zwölf Jahren und junge Erwachsene an. In ein bis zwei Sitzungen à 45 bis 90 Minuten kommen alle Themen mit Suchtpotenzial zur Sprache – von Tabak und Alkohol über Cannabis und andere Substanzen bis hin zum Chatten oder Gamen. Das Gespräch mit der Fachperson findet wahlweise per Telefon, per Video oder direkt an der Fachstelle statt und ist absolut vertraulich.

Spannende Workshops für Schüler*innen

Ein weiteres Angebot sind die Rausch & Risiko-Workshops, die an den Schulen auf grosses Interesse stossen. Diese dauern einen halben Tag und befassen sich mit verschiedensten Themen. Dazu Selina Chanson: «Nach einem 30-minütigen Inputreferat können die Schüler*innen jeweils zwei Workshops à zwei Stunden besuchen. Die eine will herausfinden, was für ein Risikotyp sie ist, ein anderer möchte mehr darüber erfahren, wie er sich in der Gruppe verhält und was Gruppendruck mit ihm macht, eine dritte interessiert sich für Selbstoptimierung und «Shoppingmania», und dann kommen in den Workshops natürlich auch die legalen und illegalen Drogen zur Sprache.»

Die Suchtprävention steht in engem Kontakt mit den Schulen. Sie nimmt an den regelmässigen Standortgesprächen teil und hat immer ein offenes Ohr für die Anliegen und Bedürfnisse, die im Raum stehen. «Wir unterstützen die Schulen, wo immer wir können», sagt Selina Chanson.

Es ist erfreulich, wie stark sich die Zürcher Mittelschulen in diesen Fragen engagieren. Das Miteinander funktioniert jedenfalls sehr gut. Selina Chanson

Das kann Dagmar Müller vom MBA nur bestätigen: «Suchtprävention ist uns ein grosses Anliegen. So haben wir in den letzten Jahren ein Netz an Kontaktlehrpersonen aufgebaut, die an ihren Schulen verantwortlich sind für Suchtprävention und Gesundheitsförderung. Diese Lehrpersonen haben bei uns einen zweijährigen Zertifikationslehrgang absolviert und sind unsere direkten Ansprechpartner, wenn Handlungsbedarf besteht. Vor allem machen wir sie auf Forschungsresultate, Präventionsprogramme und Unterrichtsmaterialen aufmerksam, damit sie die Prävention und den Umgang mit Süchten in den Schulalltag integrieren können.»

Eine Gesellschaft ohne Süchte wird es nie geben. Entscheidend aber ist der richtige Umgang damit. Dafür setzen sich die Suchtprävention und das MBA ein.