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Schüler*innen schreiben für die FAZ

Es ist eine 34-jährige Tradition. Das Projekt «Jugend schreibt» der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Weltweit nehmen jedes Jahr etwa 2000 deutschsprachige Schüler*innen mit ihrer Klasse an dem Projekt teil. Darunter sind auch einige von den Zürcher Mittelschulen.

1. Oktober 2021

Auf dem Tisch liegt eine Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ). Eine der renommiertesten deutschen Tageszeitungen. Mit einer Auflage von etwa 200'000 Exemplaren ist die FAZ nach der Boulevardzeitung Bild und der Süddeutschen Zeitung die am meisten gelesene in Deutschland, die auch weit über die Landesgrenzen hinaus einen guten, wenn auch etwas konservativen, Ruf geniesst. Hier veröffentlicht zu werden, ist eine grosse Ehre.

Und da, irgendwo im Sportteil, prangt eine einzelne Seite mit vielen bunten Illustrationen, die von drei Texten umrandet werden. «Jugend schreibt» steht oben fett auf der Seite und zu lesen sind Texte von drei Jugendlichen verschiedener Schulen vor allem in Deutschland, aber auch in Österreich und der Schweiz. Ausserdem nehmen einige weitere deutschsprachige Schulen aus dem ferneren Ausland an dem Projekt teil.

Auch den Mittelschulen des Kantons Zürich blieb das Projekt nicht verborgen. Von diesen nehmen die Kantonsschule Uetikon am See und die Kantonschule Zürcher Oberland (KZO) an dem Projekt teil, das jeweils im Sommer beginnt und daraufhin ein Jahr dauert. Während des einjährigen Projektzeitraums erhalten die Schüler*innen ein digitales Abonnement der FAZ.

Um an dem Projekt teilzunehmen, muss eine Deutschlehrperson ihre Klasse anmelden. Daraufhin wird sie für einen Einführungsworkshop nach Frankfurt am Main eingeladen, wo sie während zwei Tagen in das Projekt eingeführt wird. Dann steht einem Start nichts mehr im Weg.

Keine Werbung

Auf der «Jugend schreibt»-Seite werden Portraits und Reportagen publiziert. «Keine Werbeartikel» lautet eine der Richtlinien und sich daran zu halten, ist nicht immer ganz einfach. So darf kein Firmenporträt über die lokale Käserei geschrieben werden. Geht es jedoch primär um die Quarkproduktion in dieser und werden Name und Geschichte der Käserei nur im Hintergrund erwähnt, ist alles in Ordnung.

Fast alle Artikel, die auf der «Jugend schreibt»-Seite erscheinen, erinnern an Lokaljournalimus. So kann es durchaus passieren, dass eine Geschäftsfrau in der 30. Etage eines Frankfurter Hochhauses an einem Montagmorgen ihre Zeitung aufschlägt, um die Wirtschaftsnews zu lesen, und für einen kurzen Moment einen Text überfliegt, in dem eine 16-jährige Schülerin über eine Sattlerei in Hinwil, einer Ortschaft im Zürcher Oberland, berichtet.

Ein langer Weg, der Selbstdisziplin fordert

Doch bevor ein solcher Text überhaupt zustande kommt, müssen die Schüler*innen mit der Welt des Journalismus vertraut werden. Dies ist Aufgabe der Lehrperson, die das Projekt betreut. Auch die FAZ stellt Materialien bereit. Franziska Meister, Deutschlehrperson und Prorektorin der KZO, führt das Projekt nun schon zum zweiten Mal durch. Bei ihr lesen die Schüler*innen während des Projektes zum Beispiel auch verschiedene Zeitungen, um mit dieser Textart vertraut zu werden. Sie lernen Theoretisches zum Aufbau einer Zeitung und wie man Texte gliedert, schreibt, korrigiert und sich auf das Wesentliche konzentriert.

Für die Schüler*innen ist das «Jugend schreibt»-Projekt, zumeist etwas ganz Neues, denn von der Idee bis hin zum publizierten Artikel dauert es lang. Es müssen Telefonate geführt und Termine abgemacht werden. Man muss ein fremdes Umfeld beobachten, fremden Leuten Fragen stellen, sich kluge Notizen machen, mit denen man später noch etwas anzufangen weiss, und der erste Text ist längst nicht der fertige Text.

Enya Rüegg, KZO-Schülerin der Klasse A5, nimmt selbst gerade am Projekt der FAZ teil. Sie schreibt über den «Native Americans Shop» ihres Götti und dessen Reisen nach Nordamerika und erzählt, dass der Aufwand mit dem Interviewen noch längst nicht vorüber sei. «Nachdem ich meinen Text geschrieben habe, muss eine Kollegin ihn korrekturlesen und mir ein Feedback geben. Ich verbessere den Text und gebe ihn dann meiner Lehrerin weiter, die den Text abermals durchliest und Verbesserungen vornimmt. Daraufhin muss ich den Beitrag erneut verbessern. Habe ich dies gemacht, schickt ihn meine Lehrerin an Norbert Delhey weiter, der von Seiten der FAZ für das Projekt zuständig ist, und den Text abermals gegenliest. Erst mit seinem ‹Okay› ist ein Text fertig und wird daraufhin veröffentlicht.»

Das «Okay» von Herrn Delhey ist tatsächlich nicht mehr als das. Ist er rundum zufrieden, prangt in der Kommentarspalte des Worddokuments, das er der Lehrerin zurücksendet, ein «O. K.». Das heisst, der Text wird veröffentlicht. Ab und an gibt es ein «Gut». Bei tausenden Schüler*innen, die jedes Jahr an dem Projekt teilnehmen, muss ökonomisch gearbeitet werden.

Raus aus der Digitalität

Dass sich die Schüler*innen für ihre Reportage in einem analogen Umfeld bewegen müssen, sei laut eines am 18. Januar 2017 anlässlich des 30-jährigen Jubiläums in der FAZ erschienen Berichts über das Projekt, ein grosser Vorteil in Zeiten von digitaler Infantilisierung. Zwar mag dies eine gar sehr pauschalisierende Aussage sein, doch stimmt es, dass es sich beim Projekt der FAZ für viele Schüler*innen um das erste eigenständig zu führende, längerfristige Projekt handelt. Den langwierigen Prozess von Idee bis Endprodukt müssen sie selbst organisieren und koordinieren. Laut Deutschlehrerin und Prorektorin Franziska Meister, die das Projekt nun bereits zum zweiten Mal durchführt, sei dies eine gute Vorbereitung auf die Maturitätsarbeit, die die Schüler*innen der KZO im zweiten Semester der fünften Klasse beginnen.

Die letzte Klasse, mit der ich das Projekt durchführte, verbesserte ihre Schreibfertigkeiten im Laufe des Jahres enorm.Franziska Meister

Wenn auch eine grosse Herausforderung für viele der Schüler*innen, so sind sich die meisten am Schluss einig: Das Projekt hat ihnen wertvolle und lehrreiche Erfahrungen ermöglicht und den Deutschunterricht spannend gestaltet. So ist es kein Wunder, dass das Projekt 2021 bereits seinen 34. Geburtstag feierte. Seit Beginn haben 1200 Schulen und somit insgesamt etwa 40'000 Schüler*innen teilgenommen. Über 1200 «Jugend schreibt»-Seiten wurden seither im Sportteil der Montagsausgabe der FAZ publiziert und wahrscheinlich werden es noch viele mehr.