Dieser Beitrag erschien in:

Physik? Weltklasse!

Das Schreiben einer Reportage ist immer auch ein Eintauchen in eine neue Welt. Ganz besonders, wenn es um so helle Köpfe wie die Swiss Young Physicists geht. Ihr Headquarter ist das MNG Rämibühl, ihre Spielwiese das Physiklabor. Hier gehen Ideen auf Reisen – am liebsten in Länder, die noch gar nicht entdeckt sind.

7. Juli 2021

Das Swiss Young Physicists' Tournament (SYPT) ist ein Wettbewerb für physikbegeisterte Schüler*innen aus der ganzen Schweiz. Seit Jahren treffen sich hier junge Nachwuchstalente, um ihre Leidenschaft zu leben und sich mit Gleichgesinnten zu messen. Im Vorfeld des Turniers vertiefen sich die verschiedenen Teams, die aus zwei bis drei Schüler*innen bestehen, in ein Problem und erarbeiten eine Lösung. Am Wettkampftag selbst treten jeweils drei Teams in so genannten Physics Fights gegeneinander an. Sie präsentieren ihre Lösung mit Powerpoint und beurteilen die Lösung der anderen Teams. Das letzte Wort zu diesem Schlagabtausch hat die Jury. Sie entscheidet auch darüber, wer sich für das International Young Physicists’ Tournament (IYPT) qualifiziert und sich mit Teams aus der ganzen Welt messen darf.

Erfolgreich unterwegs

Die Geschichte des IYPT geht zurück auf die ehemalige Sowjetunion, die das Turnier damals für Länder aus dem Ostblock ausrichtete. Nach der Wende kam die Öffnung, und schon bald waren auch Asien, die USA und Westeuropa mit dabei. Die Schweiz stieg 2003 mit einer Delegation ins Turnier ein und landet seither regelmässig in den vordersten Rängen. Neben zahlreichen Bronze- und Silbermedaillen gewann sie 2013, 2016 und 2019 Gold. Und das, obwohl die Konkurrenz auf den ersten Blick übermächtig erscheint.

«Es ist schon eindrücklich, was unsere Jugendlichen Jahr für Jahr leisten. Wenn ich sehe, welche Leistungen sie auf höchstem Niveau erbringen, bin ich wirklich stolz», sagt Samuel Byland, der massgeblich an diesem Erfolg beteiligt ist. Der Physiklehrer ist Prorektor am MNG Rämibühl und seit langem Präsident des SYPT. Er startete kurz nach der Jahrhundertwende mit einer kleinen Gruppe von Schüler*innen des MNG, die sich für seine Idee begeisterte und spontan mitmachte. «Die Zeichen standen gut», erinnert sich Byland, «denn zum einen war die nationale Konkurrenz noch klein, und zum andern winkte eine Teilnahme am IYPT in Australien.»

Das zunehmende Interesse der Schüler*innen bewog die Schulleitung schliesslich dazu, die Vorbereitung auf das SYPT ins Wahlpflichtangebot aufzunehmen und im Rahmen des Gruppenunterrichts anzubieten. «Der Faktor Zeit spielt in der Vorbereitung eine zentrale Rolle. Da sind uns andere Länder weit voraus. Ich darf gar nicht daran denken, wie das im Osten und vor allem in Asien aussieht. Für viele Jugendliche ist eine gute Platzierung am IYPT der Türöffner zu einer Eliteuniversität.»

Federführend: das MNG

Am SYPT nehmen jeweils rund zwanzig Teams oder sechzig Jugendliche teil. Der Ablauf ist genau vorgegeben: In den Physics Fights treten jeweils drei Teams gegeneinander an. Zuerst präsentiert der Reporter seine Lösung zum gewählten Problem. Der Opponent hinterfragt die Lösung kritisch und versucht sie zu zerpflücken. Und der Reviewer schliesst den Kreis und kommentiert die Leistungen von Reporter und Opponent.

Die Probleme sind frei wählbar aus einer Liste mit insgesamt siebzehn Problemen. Für die Bearbeitung steht ein Zeitfenster von rund drei Monaten auf nationaler und fast einem Jahr auf internationaler Ebene zur Verfügung. «Die Vorbereitungszeit ist entscheidend», sagt Samuel Byland, «denn alle Probleme haben einen grossen experimentellen Anteil, der ein gut ausgerüstetes Labor voraussetzt. Im Sinne der Chancengleichheit bietet das SYPT deshalb eine Vorbereitungswoche an – in der Hoffnung, dass wir auch Schüler*innen aus Schulen begeistern können, an denen unser Angebot noch nicht etabliert ist. Eine Herkulesaufgabe, denn der Erfolg steht und fällt fast immer mit engagierten Lehrpersonen, die sich für uns stark machen.»

In Sachen Unterstützung hält das MNG ganz klar die Poleposition. Das Physiklabor an der Schule ist sehr gut ausgestattet und steht experimentierfreudigen Jugendlichen jederzeit offen. Für Teilnehmende aus den Zürcher Mittelschulen ist dies ein grosser Vorteil, wie Daniel Keller, Physiklehrer am MNG und Kassier des SYPT, bestätigt: «Experimentieren geht nur mit dem notwendigen Equipment. Mit unserem Labor sind wir in der glücklichen Lage, unseren Jugendlichen die besten Bedingungen zu bieten. In der Vorbereitungswoche lässt sich vieles machen. Oft braucht es aber Anschlussexperimente, um die eine oder andere Theorie zu verifizieren. Da kommen wir ins Spiel.»

Leidenschaft, die Leiden schafft

Von den sechzig Schüler*innen, die am nationalen Wettbewerb teilnehmen, qualifizieren sich die zehn besten für eine zweite Runde. Von denen wählt die Jury fünf aus, die dann als Team gegen die internationale Konkurrenz antreten. «Die Schweiz ist ein kleiner Player», sagt Samuel Byland, «aber wir erzielen immer wieder sehr gute Resultate.» Das diesjährige Team setzt sich aus je einem Mädchen aus Echallens und der Zurich International School sowie drei Jugendlichen vom MNG zusammen. «Die Frauenquote ist erfreulich hoch», sagt Byland, «wir hatten auch schon Jahrgänge mit vier Mädchen und nur einem Jugendlichen.»

Ganz egal, ob Mann oder Frau: Der Aufwand ist gross. «In der Vorbereitung war ich praktisch jeden freien Nachmittag im Labor», bestätigt Manuel Antoinette (s. Box), der 2019 Teil des Teams war, das am IYPT in Warschau Gold gewann. «Hinzu kamen viele Wochenenden, an denen ich mich mit Experimenten und Messungen herumschlug. Da braucht es schon eine gehörige Portion Leidenschaft, um sich so stark zu fokussieren.»

Während beim nationalen Wettbewerb ein Grossteil der Vorbereitung in den Schulalltag integriert ist, fällt dem IYPT praktisch die gesamte Freizeit zum Opfer. Die Teilnehmenden sind erst in der letzten Woche vor dem Wettbewerb vom Unterricht dispensiert. «Das klappt mittlerweile bestens», sagt Samuel Byland, «denn die Schüler*innen, die bei uns mitmachen, sind in der Regel auch in den anderen Fächern gut unterwegs.»

Argumentieren, kommunizieren, verkaufen

Eine Besonderheit der Young Physicists’ Tournaments ist die offene Problemstellung. «Die Turniere haben keinerlei Prüfungscharakter», sagt Byland, «hinter jeder Frage steht vielmehr ein Forschungsprojekt, das jedes Team mit seinem eigenen Ansatz zu lösen versucht. Und dann geht’s ab in den Fight.» Das Turnier ist somit vielmehr eine Art wissenschaftlicher Kongress, an dem jedes Team hinstehen und die anderen von seiner Lösung überzeugen muss.

Das Präsentieren und Verteidigen der eigenen Lösung ist Kommunikation pur. Ist das der Grund, warum dieses Format gerade bei Mädchen so beliebt ist? «Rhetorisches Talent ist eine wichtige Voraussetzung», sagt Daniel Keller, «aber ich denke, dass auch die Freude am Experimentieren und Ausprobieren bei den Mädchen besonders gross ist. Wenn es darum geht, ein Phänomen im Labor zu reproduzieren, arbeiten sie sehr präzis und auf hohem Niveau. Im Visualisieren sind sie echt stark – das zeigt sich übrigens auch in der Art, wie sie ihre Lösungen verkaufen.»

Zweifeln, irren, weiterkommen

Offene Fragestellungen implizieren, dass es nicht nur eine Lösung gibt, sondern viele. Diese Erkenntnis ist auch für die Betreuenden eine Herausforderung. Dazu Daniel Keller: «Als Betreuer muss ich zulassen, dass der oder die Schüler*in etwas sieht, was ich nicht beachtet habe. Wir sehen uns nicht als Experten, die wissen, wie eine Lösung aussieht, sondern bringen uns aktiv ein, machen mit und suchen gemeinsam nach einem gangbaren Weg.»

Bleibt zu hoffen, dass die Idee des SYPT weitere Kreise ziehen wird. «Der Lead liegt nach wie vor bei den Zürcher Mittelschulen», sagt Samuel Byland, «mittlerweile sind aber auch andere Kantone und vor allem das Welschland erfreulich aktiv.» Ein Dämpfer war Corona, da es im letzten Jahr viel schwieriger war, vorhandenes Wissen weiterzugeben und jüngere Schüler*innen für das Turnier zu begeistern. Aber: «Wir bleiben zuversichtlich. Die Schweiz gehört heute international zu den Top Ten, guter Nachwuchs ist vorhanden. Jetzt geht es darum, zur Normalität zurückzukehren und wieder anzugreifen.» Die Physik sagt danke.

Problem Nummer 11: Flat Self Assembly

Legen Sie eine Anzahl identischer harter, regelmässig geformter Partikel in einen flachen Layer auf eine vibrierende Platte. Je nach Anzahl der Teilchen pro Flächeneinheit bilden sie eine geordnete kristallartige Struktur oder nicht. Untersuchen Sie das Phänomen.

Gut, dass uns Manuel Antoinette dabei hilft. Er hat dieses Problem am SYPT 2019 in Warschau präsentiert und damit – zusammen mit seinem Team – Gold gewonnen. «Ich habe dieses Problem gewählt», sagt er, «weil ich es für eine gute Mischung aus theoretischen und experimentellen Aspekten hielt. Es gab auch keine wirklich etablierte Theorie dazu, was uns relativ viel Spielraum gab, einen eigenen Lösungsansatz zu entwickeln.»

Manuel besuchte das MNG und studiert heute Physik an der ETH. Im weiteren Gespräch zeigt er auf, wie anspruchsvoll und faszinierend sein Fach sein kann: «Wir haben relativ schnell erkannt, dass die Oszillationsfrequenz, bei der sich die Teilchen kristallartig anordnen, linear von der Packungsdichte abhängt. Aber wir konnten einfach nicht herausfinden, warum das so ist. Bis jemand auf die Idee kam, das System thermodynamisch zu betrachten, als wären die Teilchen Moleküle eines Materials, das je nach Frequenz unterschiedliche Temperaturen annimmt. Damit konnten wir schliesslich einige unserer Messungen erklären.»

«Ever tried. Ever failed. No matter. Try again.» Fast scheint es, als wäre Samuel Beckett Physiker gewesen.