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Generation SO

Man sieht sie kaum, doch sie sind da. Lautlos ziehen sie im Hintergrund ihre Fäden, werken an ihren Netzen und tragen sehr viel dazu bei, dass die Welt der Zürcher Mittelschulen eine bessere wird. Ein Blick ins Innere der Schüler*innenorganisationen, die sich immer wieder neu erfinden.

10. November 2021

Die Protagonist*innen der Mittelschule sind ihre Schülerinnen und Schüler. Wenn sie kommen, tauchen sie ein in eine neue Welt, die ihr Leben für ein paar Jahre bestimmen wird, und wenn sie gehen, sind sie älter, reifer und vielleicht sogar ein bisschen weiser. Dazwischen liegt eine Zeit, die prall gefüllt ist mit Sturm, Drang, Glück, Enttäuschung, Rausch und Ernüchterung. Eine schöne, spannende, verrückte Zeit, in der vieles machbar und alles möglich erscheint. Umso mehr, als die Mittelschule ein Ort ist, der nicht nur Wissen vermittelt, sondern auch Anteilnahme, Freundschaft und Solidarität vorlebt. Die Schüler*innenorganisationen (SO) haben diese Botschaft zu ihrer eigenen gemacht. Sie setzen sich mit einer Vielzahl von Aktivitäten dafür ein, dass der Schulalltag einfacher, angenehmer und lebenswerter wird.

Die guten Geister der KZU

Herbstferien in Bülach. Das Schulgelände der Kantonsschule Zürcher Unterland (KZU) ist menschenleer. In der Ferne ein Hauswart, der das Laub bläst, in der Turnhalle ein Techniker, der am richtigen Sound herumtüftelt. Auch das Hauptgebäude scheint im Tiefschlaf zu liegen – bis auf einmal Schritte zu hören sind. Anna Rüthemann und Federico Pisasale, die sich das Präsidium der SO teilen, erscheinen pünktlich am vereinbarten Treffpunkt. Mitgebracht haben sie Aylin Dogan und Leandro De Marco, zwei weitere von insgesamt neun SO-Mitgliedern. Sie alle besuchen die sechste Klasse des Langgymnasiums und stecken mitten im Endspurt ihrer Maturitätsarbeit. Noch ein gutes halbes Jahr, und dann sind sie weg.

Aber jetzt sind sie noch da. Und mitten in der Vorbereitung für Halloween. «Dieser Event konnte in den letzten beiden Jahren leider nicht stattfinden», sagt Anna, «umso mehr freut uns, dass wir endlich wieder aktiv sein können.» In der Halle ist alles vorbereitet. Das kleine Gespenst, ganz in Weiss mit grossem rundem Mund und schwarzen Kugelaugen. Das riesige Spinnennetz mit der bösen Kreuzspinne. Und dann natürlich Schere, Klebstoff, Papier für dies und das. Noch gibt es viel zu tun. Aber wenn die Party steigt, denkt niemand mehr daran, wie gross der Aufwand war.

«Halloween ist einer unserer Hauptevents», sagt Federico, «aber es gibt noch vier weitere: die Schulsportnacht, den Schneesporttag, den Samichlaus und den Röselitag.» Röselitag? «Im Frühling beschenken wir Schüler*innen uns gegenseitig mit Rosen, ganz nach Sympathie. Ein schöner Brauch, an dem alle ihre Freude haben.»

Toleranz für alle

Neben diesen fünf Events, deren Organisation viel Zeit in Anspruch nimmt, sieht sich die SO aber auch als Brückenbauerin. «Wir sind so etwas wie das Sprachrohr für die Anliegen der Schülerschaft, die wir dann vor der Schulleitung vertreten. So haben wir uns zum Beispiel für Binden auf den Frauen-WCs stark gemacht – eine kleine Geste von grossem praktischem Nutzen.» Und nach Aylin ist wieder Federico an der Reihe: «Wir sind einfach für die ganze Schülerschaft da und stehen für Toleranz für alle. Mit unseren Aktionen wollen wir den Druck des Schulalltags etwas abfedern und dazu beitragen, dass die Schüler*innen auch einmal abschalten können.»

Die Diskussion ist aufgeweckt, das Gespräch geht hin und her, die Freude und das Engagement sind fast mit Händen greifbar. Das Team funktioniert, auch wenn jede*r einzelne einen grossen Aufwand betreibt. «Ein paar Stunden pro Woche haben wir schon zu tun», sagt Aylin, «aber das ist es wert. Wir finden die KZU wirklich toll, und ein bisschen stolz auf unsere Schule sind wir auf jeden Fall. Federico zum Beispiel, der wohnt seit kurzem in Schaffhausen. Aber von Bülach wäre er nie weggegangen.»

So ist das mit den Landschulen: Die Identifikation mit der eigenen Kanti ist gross. Man hilft sich, ist gegenseitig füreinander da und unternimmt vieles gemeinsam. Dies ist sicher mit ein Grund, dass Politik für die SO kein Thema ist. Dazu Anna: «Klimapolitik und andere gesellschaftliche Anliegen von Jugendlichen stehen nicht auf unserer Agenda. Darum kümmert sich bei uns eine Umweltgruppe, mit der wir uns zwar regelmässig austauschen, aber nicht zusammenarbeiten. Wir setzen andere Schwerpunkte.»

Und, wie weiter? «Ende Schuljahr muss sich die SO wieder völlig neu aufstellen. Sechs von neun verlassen die KZU, und deshalb müssen wir jetzt unsere Nachfolge regeln», sagt Leandro und lacht. «Wir sind auf gutem Weg. Aber danach aber ist vieles offen.» Aylin möchte Deutschlehrerin an einer Mittelschule werden, Federico Sprachwissenschaften studieren, Anna interessiert sich für Geschichte und Politikwissenschaften, und Leandro beschäftigt sich in seiner Maturitätsarbeit mit dem Thema Bakterien. Gut möglich, dass er auf diesem Gebiet weiterforschen wird.

So verschieden die Interessen von Anna, Federico, Aylin und Leandro sind, einen gemeinsamen Wunsch haben alle: «Wir wollen die Lücke, die Corona in unser Leben geschlagen hat, möglichst schnell wieder schliessen. Die beiden Jahre sind zwar nicht verloren, aber sie fehlen uns. Wir wissen zwar nicht, was uns die Zukunft bringen wird, aber wir sind überzeugt: Sie kommt gut.»

Zurück in der Stadt

Die Kantonsschule Wiedikon war ursprünglich eine Mädchenschule. Dem Ruf, der ihr deswegen vorauseilt, wird sie auch heute noch gerecht. Gut 60 Prozent der Schüler*innen sind weiblich, und wer in die lachenden Gesichter des SO-Vorstands 2021/22 schaut, sieht sechs Frauen und nur einen Mann. «Am Anfang mag es ein bisschen komisch wirken», sagt Co-Präsidentin Carla Dietze, «aber man gewöhnt sich schnell daran, und ich habe auch überhaupt kein Problem damit.»

Willkommen in der Stadt, wo die Mittelschulen fast schon einen Dichtestress haben. Ein Gymi reiht sich an das andere, und auch hier sagt jedes von sich, es sei einzigartig. «Unsere Kanti ist es auf jeden Fall», sagt Antonia Rofler, die andere Co-Präsidentin. «Ich weiss nicht, ob es an der Schulleitung, den Schüler*innen oder an der Schule selbst liegt, aber die Stimmung ist einfach grossartig.» Und Carla doppelt nach: «Wir sind ganz sicher anders als die anderen Stadtschulen. Im Quartier verwurzelt, bescheiden, gut geerdet. Für uns zählt nicht so sehr, wie wir aussehen und welche Kleider wir tragen. Viel wichtiger ist uns, wie wir denken und wer wir sind.»

Sprachrohr und Dienstleistungszentrum in einem

Da passt die jetzige SO sehr gut ins Bild. «Wir haben mehr oder weniger freie Hand und können tun und lassen, was wir wollen – solange es im Interesse der Schülerschaft ist», sagt Antonia. «Wir organisieren traditionelle Events wie die Halloween-Night, den Skitag am Notenkonvent oder die Volleyball-Night, bringen aber auch neue Ideen ein, zum Beispiel ein Open Air oder ein Sommerfest.»

Darüber hinaus vertritt die SO die Anliegen der Schüler*innen auch gegenüber der Schulleitung. Sie hat dafür gesorgt, dass in den WCs heute kostenlose Tampons und Binden aufliegen, und auch sonst ist ihre Stimme gefragt. «Die SO nimmt regelmässig am Lehrpersonenkonvent teil und kann jeweils fünf Stimmen abgeben», sagt Carla, «und vor kurzem wurden wir sogar zu einer Retraite für Lehrpersonen zum Thema Untergymi 2022 eingeladen. Diese fand im Jugendstil-Hotel Paxmontana in Flüeli-Ranft statt – ein unvergessliches Erlebnis. Ich fühlte mich jedenfalls mega wertgeschätzt, und unsere Ideen wurden immer angehört.»

Was bringt Schüler*innen eigentlich dazu, den ganzen Aufwand auf sich zu nehmen und Teil einer SO zu werden? «Ich bin jetzt schon fast vier Jahre dabei», sagt Antonia, «und ich habe in dieser Zeit sehr viel gelernt. Ich kann mich heute viel besser organisieren als früher, und ich habe keine Probleme mehr damit, mich vor hundert Leuten hinzustellen und eine Rede zu halten. Und natürlich habe ich immer wieder gespürt, wie viel Freude es mir bereitet, mich für andere einzusetzen und ihnen auf die eine oder andere Art behilflich zu sein.»

«Das kann ich alles nur unterschreiben», fügt Carla an, «zusätzlich hat sich für mich ein neuer Blickwinkel aufgetan. Seit ich bei der SO bin, sehe ich die Schule aus einer ganz anderen Perspektive und weiss, dass ich viel mehr bewirken kann als vorher. Auch lerne ich eine Menge Leute kennen und habe einen guten Draht zur Schulleitung. Dies macht es einfacher, ein Anliegen vorzubringen und es dann auch umzusetzen.»

Die Nachfolgeregelung ist auch an der Kanti Wiedikon in vollem Gange. Vier von sieben SO-Mitgliedern müssen auf Ende Schuljahr ersetzt werden. «Wir sind auf Kurs», sagt Antonia, «das Interesse ist erfreulich gross.» Bestimmt liegt dies auch am guten Image der SO, das Antonia, Carla und ihre Kolleg*innen aufgebaut haben. Einmal Wiedikon, immer Wiedikon – eine Familie eben.

Schüler*innen, organisiert euch

Die Schüler*innenorganisationen der Zürcher Mittelschulen sind nur lose miteinander verbunden. Jede Schule organisiert sich weitgehend selbst und lässt ihrern SOs freie Hand. Auf einer übergeordneten Ebene gibt es jedoch eine verbindende Instanz, nämlich die Union der Schülerorganisationen, kurz USO genannt. Sie ist der Dachverband von rund 80 Schülerorganisationen und Schülerräten der Schweiz und des Fürstentums Liechtenstein.

Die USO ist Mitglied des Organising Bureau of European School Student Unions, der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft der Jugendverbände, der Bildungskoalition NGO und der European Democratic Education Community. Sie hat sich auf die Fahne geschrieben, die Interessen der Mittelschüler*innen gegenüber Politik, Verwaltung, Medien und Öffentlichkeit zu vertreten und einen fruchtbaren Austausch zwischen den Schüler*innen aus der ganzen Schweiz zu ermöglichen.

Die SOs der Zürcher Mittelschulen sind gespannt, wann diese Botschaft bei ihnen ankommen wird.