Neue Rahmenbedingungen, neue Chancen – WEGM und die Kantonsschule Rotkreuz
Im August 2025 eröffnet in Rotkreuz die dritte Zuger Kantonsschule. Sie ist die erste Kantonsschule der Schweiz, die die neuen Rahmenbedingungen von WEGM in die Praxis umsetzt. Ein guter Anlass, für einmal über die Kantonsgrenze zu schauen und zu fragen: Was entsteht dort?
27. Juni 2025
Das Projekt WEGM – die Weiterentwicklung der gymnasialen Maturität – hat zum Ziel, die gymnasiale Maturität an die Bedürfnisse der Zukunft anzupassen. Die neuen Rahmenbedingungen sind auf nationaler Ebene verabschiedet und werden in den nächsten Jahren in den Kantonen umgesetzt. WEGM fordert unter anderem mehr Interdisziplinarität, gewährt mehr Freiheit bei den Wahlpflichtfächern und bietet die Chance, das Gymnasium neu zu denken.
Während im Kanton Zürich die Umsetzung noch vorbereitet wird, ist man in Zug bereits einen Schritt weiter: Im August nimmt die neue Kantonsschule Rotkreuz den Betrieb auf und setzt als erstes Gymnasium in der Schweiz die nationalen und kantonalen Vorgaben um. Wir haben mit Gründungsrektor Stefan Zumbrunn-Würsch gesprochen.
Herr Zumbrunn-Würsch, in zwei Monaten startet der Schulbetrieb an der Kantonsschule Rotkreuz, die Sie als Gründungsrektor leiten. Fühlen Sie sich bereit?
Es gab eine Phase, in der der Respekt vor dem Start riesig war, denn die Vorbereitungszeit betrug nur ein Jahr. Mittlerweile sind wir uns im Kollegium einig: Wir haben genug theoretische Konzepte gewälzt, nun wollen wir starten. Es muss Leben her, wir brauchen Schülerinnen und Schüler. Natürlich wird nicht alles von Anfang an bereit sein und perfekt funktionieren – aber das ist auch in Ordnung so.
Für mich persönlich ist die neue Kantonsschule Rotkreuz eine spannende berufliche Herausforderung: Eine Schulgründung ist generell ein seltenes Ereignis und es ist eine einmalige Chance, eine Schule unter neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen aufzubauen. Dass der Kanton Zug dabei sehr liberal ist und uns die Möglichkeit gibt, uns als Schule eigenständig zu positionieren, macht die Aufgabe umso reizvoller.

Was wird speziell und neu sein an dieser Schule?
Ich muss etwas ausholen. Der Kanton Zug beschloss schon vor einiger Zeit einen dritten Gymnasialstandort in Rotkreuz zu eröffnen, ursprünglich mit Start ab 2031. Aufgrund verschiedener Umstände wurde der Start vorgezogen. Im Sommer 2025 beginnen wir mit 11 Klassen an einem provisorischen Standort – mit Lang- und Kurzzeitgymnasium. Im Langzeitgymnasium führen wir je zwei Klassen pro Jahrgang, im Kurzzeitgymnasium eine. Das Kurzzeitgymnasium startet einlaufend, im Langzeitgymnasium beginnen wir mit den Stufen 1 bis 5. Die oberen Klassen wechseln von der Kantonsschule Zug nach Rotkreuz. Konkret bedeutet dies, dass die 4. und 5. Klassen noch nach altem Reglement laufen, alle anderen nach dem neuen.
Wir haben also die Herausforderung, zwei «Systeme» parallel zu unterrichten und die Chancen der kleinen Schule, müssen aber von Anfang an skalierbar denken.
Parallel zur Aufnahme des Schulbetriebes wird das neue Schulgebäude geplant, das später rund 40 Klassen Platz bieten wird.
Wir haben also die Herausforderung, zwei «Systeme» parallel zu unterrichten und die Chancen der kleinen Schule, müssen aber von Anfang an skalierbar denken.
Aber zurück zu Ihrer ursprünglichen Frage: Die Kantonsschule Rotkreuz ist in mehrfacher Hinsicht besonders: Unser Angebot an Schwerpunktfächern ist modern und wurde neu gedacht – beispielsweise mit Fächern wie «Communication & Culture» oder «Umweltsysteme & Nachhaltige Entwicklung». Der Unterricht ist in sechs Wochen lange, sogenannte PHOKUS-Phasen, gegliedert, die ein konzentriertes, vertieftes Lernen ermöglichen. Und schliesslich haben wir wöchentlich einen Profilnachmittag, an dem transversale Kompetenzen gestärkt und individuelle Projekte umgesetzt werden.
Wie sieht das Wahlsystem an der Kantonsschule Rotkreuz konkret aus?
Inhaltlich legen wir Wert darauf, auch als kleine Schule ein breites Wahlangebot aus möglichst vielen Fachbereichen anzubieten. Strukturell sind die Wahlmöglichkeiten gestaffelt, da sich die Interessen der Jugendlichen im Verlauf der Gymnasialzeit verändern können.
Konkret heisst das: Im ersten MAR-Jahr werden ausschliesslich Grundlagenfächer unterrichtet, um einen breiten Einblick in alle Bereiche zu ermöglichen. Im zweiten Jahr folgt mit dem Schwerpunktfach die erste fachliche Vertiefung. Ab dem dritten Jahr kommt das Ergänzungsfach hinzu, im vierten Jahr schliesslich das Akzentfach – eine Besonderheit an der KSR. Es dient der gezielten Studienvorbereitung, etwa mit zusätzlicher Mathematik für ein Studium an ETH oder EPFL.

Zur Person
Seit August 2024 ist Stefan Zumbrunn-Würsch Gründungsrektor der Kantonsschule Rotkreuz, davor war er 19 Jahre Rektor der Kantonsschule Solothurn. Seit vier Jahren ist er Präsident der Konferenz der Schweizerischen Gymnasialrektorinnen und Gymnasialrektoren (KSGR). Stefan Zumbrunn-Würsch studierte Physik und Mathematik, ist verheiratet und Vater zweier erwachsener Kinder. Die Perspektive als Vater zweier erwachsener Kinder, die selbst die Kantonsschule und ein Studium durchlaufen haben, prägt seine Arbeit ebenso wie seine breite Vernetzung als Präsident der KSGR.
Welche Rolle spielten die neuen Rahmenbedingungen durch WEGM, wenn wir den Fächerkanon, die Stundenpläne und die Schwerpunkte anschauen?
Die neue Gesetzgebung verzichtet auf einen fixen Fächerkatalog im Schwerpunkt- und Ergänzungsfachbereich. Das gibt uns die Möglichkeit, wirklich schülerzentriert zu denken und auf die Bedürfnisse der Jugendlichen und die aktuellen Anforderungen unserer Gesellschaft einzugehen.
Ein zentrales Prinzip unserer Schule lautet: form follows function. Wir überlegen uns zuerst, was die Bedürfnisse sind und entwickeln daraus die Strukturen.
Wir wollen sicherstellen, dass die Jugendlichen die transversalen Kompetenzen wirklich erwerben und nicht nur auf dem Papier steht, dass sie vermittelt wurden.
Eine weitere Betonung liegt auf den transversalen Kompetenzbereichen, die WEGM deutlich stärken will. Wir sind der Meinung, dass wir dieser Stärkung mit den Wahlfächern und dem Profilnachmittag gerecht werden können.
Wie vermitteln Sie in Rotkreuz konkret die transversalen Kompetenzbereiche?
Wir wollen sicherstellen, dass die Jugendlichen diese transversalen Kompetenzen – etwa nachhaltige Entwicklung, politische Bildung und Digitalität – wirklich erwerben und nicht nur auf dem Papier steht, dass sie vermittelt wurden.
Dafür haben wir gezielt Raum im Stundenplan geschaffen – wir haben die Fachlektionen reduziert und Zeit ausgespart für die Vermittlung der transversalen Kompetenzen. Das Gefäss, welches daraus entstanden ist, ist der sogenannte Profilnachmittag. Im Rahmen dessen organisieren wir beispielsweise eine Schullandsgemeinde und behandeln dabei zum Beispiel das Thema Handyverbot. So fördern wir persönliche Kompetenzen wie Diskussionsfähigkeit, stellen aber auch die politische Bildung sicher.
Nun absolvieren nicht alle Klassen das Gymnasium nach neuem Reglement in Rotkreuz. Ist denn dieser Nachmittag kompatibel mit neuem und altem Reglement?
Wir probieren, ihn kompatibel zu gestalten. Die Klassen, die nach altem Reglement studieren, haben eine andere Stundentafel und mehr Fachlektionen. Sie werden also nur zweitweise am Profilnachmittag teilnehmen.
Doch der Profilnachmittag erfüllt zwei Funktionen: Einerseits den oben skizzierten Bildungsaspekt, anderseits den schulkulturellen Aspekt, nämlich die Schulgemeinschaft zu erleben. Da wollen wir sicher alle dabeihaben.
Eine weitere Spezialität von Rotkreuz wird der Phasenunterricht PHOKUS sein. Wie hängt dieser mit WEGM zusammen?
Er hängt weniger mit WEGM zusammen, als mit der Belastung der Jugendlichen. Oft wird gesagt, dass die Belastung durch die vielen Wochenlektionen entsteht. Das ist in meinen Augen zu kurz gegriffen. Ich finde den ständigen Fächerwechsel belastender. Kaum jemand von uns arbeitet gern an 14 Projekte gleichzeitig., doch genau das erwarten wir von den Jugendlichen am Gymnasium.
Unsere Lösung: Wir reduzieren nicht die Stundenanzahl, sondern die Anzahl Fächer pro Woche oder Tag. Das erreichen wir auf zwei Wegen: Einerseits gibt es Fächer, die nicht jedes Jahr unterrichtet werden. Andererseits gibt es den Phasenunterricht: Wir verdoppeln während sechs Wochen (eine Phase) die Anzahl der Wochenlektionen in einem Fach, dafür pausiert dieses Fach dann in der nächsten Phase.
Der Profilnachmittag erfüllt zwei Funktionen: Einerseits den oben skizzierten Bildungsaspekt, anderseits den schulkulturellen Aspekt, nämlich die Schulgemeinschaft zu erleben.
Dahinter steckt auch die Idee, Selbstständigkeit zu fördern und den Unterricht weiterzuentwickeln. Wenn man beispielsweise Deutsch von vier auf acht Wochenlektionen erhöht und ihm einen ganzen Vormittag widmet, wird sich der Unterricht zwangsläufig verändern, denn man kann nicht vier Stunden lang frontal dozieren. Wir müssen keine neuen Unterrichtsformen schaffen, das wird natürlicherweise passieren.

Hat das Schulkonzept auch einen Einfluss auf die Lernräume?
Ja, wenn auch nicht sofort. Wir starten am provisorischen Standort in einem Bürogebäude, das nicht für den Schulbetrieb gebaut wurde. Aber da es ein Rohbau war, konnte man doch vieles passend umsetzen.
Die eigentliche Chance liegt jedoch im Neubau: Unser Schulkonzept fliesst als Nutzerkonzept direkt in den Architekturwettbewerb ein – das ist eine einzigartige Möglichkeit, die Lernräume von Anfang an auf unsere pädagogischen Vorstellungen abzustimmen.
Was ist konkret geplant in Bezug auf die Räumlichkeiten?
In der Volksschule gibt es bereits tolle Beispiele, wie Lernräume gestaltet werden können, um beispielsweise kooperatives Lernen zu fördern. Auch die Tertiärstufe hat da einen grossen Schritt gemacht. In der Sek II dominieren oft noch klassische Gangschulhäuser. Sie bilden damit gewissermassen einen Bruch in der schulischen Raumkultur. Mit unserem Raumkonzept, das auf Clustern und offenen Lernlandschaften basiert, wollen wir genau diese Lücke schliessen und eine Umgebung schaffen, die zeitgemässes und selbstverantwortliches Lernen auch architektonisch unterstützt.
Gab es Herausforderungen in Bezug auf die Einführung der WEGM-Rahmenbedingungen oder generell bei der Gestaltung des Schulkonzepts?
Erstaunlich wenig, was mich sehr freut. Wir sind ein hochmotiviertes Team, das sich bewusst für diese Aufgabe und den Standort Rotkreuz entschieden hat. Es haben sich Lehrpersonen gefunden, die Schule anders denken wollen. Wir wollen gemeinsam Neues ausprobieren und pflegen eine konstruktive Fehlerkultur.
Wir wollen eine Umgebung schaffen, die zeitgemässes und selbstverantwortliches Lernen auch architektonisch unterstützt.
Die grösste Herausforderung war die Zeit. In dieser knappen Zeit eine Schule in einem Bürogebäude «unterzubringen» und parallel dazu ein Schulkonzept zu erarbeiten, das war harte Arbeit. Wir haben uns bewusst Zeit genommen, zuerst über unsere Werte und unser Profil zu sprechen. Das war nicht einfach auszuhalten, weil wir einerseits loslegen wollten, andererseits die Öffentlichkeit aber auch wissen wollte, was wir konkret anbieten. Dieses Fundament war jedoch entscheidend – für die Personalauswahl und die Entwicklung der Strukturen. Erst dann diskutierten wir über Schwerpunktfächer, Profilnachmittag und die Abläufe im Schulalltag.
Sie sind im Kanton Zug schon weiter im Prozess als der Kanton Zürich. Was würden Sie den Zürcher Mittelschulen raten, die sich bald mit der Umsetzung von WEGM befassen werden?
Mut, Offenheit und den Fokus auf die Schülerinnen und Schüler.
Was würden Sie generell jemandem auf den Weg geben, der eine neue Schule plant und gründet?
Eine sehr hohe Fehlertoleranz und den Mut, loszulegen. Gleichzeitig muss man bereit sein, ehrlich hinzuschauen, und Dinge zu korrigieren, wenn sie nicht funktionieren.