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Deutsch für Fremdsprachige – wenn Grammatik für gute Laune sorgt

Im Freifach «Deutsch für Asylsuchende und Ausländer*innen» büffeln Fremdsprachige zusammen mit Schüler*innen der KZO Deutsch. Ein Angebot, für das die Teilnehmenden liebend gern ihren Feierabend verschieben und das nicht nur bessere Sprachkenntnisse, sondern auch viel Spass garantiert.

8. Oktober 2021

Freitag, später Nachmittag, Bühlstrasse in Wetzikon. Die Gänge des Schulhauses der Kantonsschule Zürcher Oberland leeren sich. Eine Handvoll Schüler*innen stürmt hinaus und ins Wochenende, im Schulhaus kehrt Ruhe ein.

Im ganzen Schulhaus? Nein!

In Zimmer 19, ganz hinten im ersten Stock, herrscht noch reger Betrieb. An den kleinen Tischen sitzen Menschen verschiedenen Alters, kramen in ihren Taschen nach Büchern und Notizen und begrüssen jene, die durch die offene Tür hineinkommen. Um 16.50 Uhr befindet sich rund ein Dutzend Personen im Raum, sie blicken gespannt nach vorne zur Wandtafel.

Dort schreibt Andrea Looser, Englischlehrerin an der Kantonsschule Zürcher Oberland (KZO), einige Namen hin. Elena, Daria, Marieke steht da, Mihael, Muhammad und Nuria, Antonia, Abibe und Urs und Andrea.

Grammatik büffeln und Sprüche klopfen

Es ist keine reguläre Schulstunde, die im Zimmer 19 stattfindet, sondern ein Freifach, das die Schüler*innen der KZO freiwillig besuchen. Jeden Freitag werden sie für eineinhalb Stunden von Lernenden zu Lehrenden und unterrichten Fremdsprachige in Deutsch. «Deutsch für Asylsuchende und Ausländer» heisst dieses Angebot. Die Verantwortlichen überlegen sich allerdings, es fortan «Deutsch für alle» zu nennen. Denn es sind nicht mehr nur Asylsuchende und Ausländer*innen, die hier vorbeikommen, sondern auch Menschen, die seit längerer Zeit in der Schweiz wohnen und deren erste Sprache nicht Deutsch ist.

So wie Abibe, Eva und Teresa. Sie arbeiten als Reinigungskräfte an der KZO und besuchen das Freifach seit dem Frühling. Heute repetieren sie mit den KZO-Schüler*innen Elena und Daria die Fälle. «Ich stehe auf dem Berg» und «ich gehe auf den Berg», sagt Elena vor, Abibe, Eva und Teresa wiederholen und machen sich fleissig Notizen. Zwischen den Grammatikübungen schwatzen und scherzen die fünf Frauen miteinander, es herrscht eine gelöste und herzliche Atmosphäre.

Der Unterricht ist an die Bedürfnisse der Teilnehmenden angepasst

Während die fünfköpfige Lerngruppe den Unterricht draussen in der Sonne abhält, sitzen sich Marieke und Sakine in einem leeren Schulzimmer gegenüber. Sie üben heute das Perfekt: Marieke nennt das Verb im Infinitiv, Sakine bildet die Vergangenheitsform.

Es gibt keinen streng geregelten Ablauf im Freifach. Je nachdem, wie viele Personen anwesend sind, stellen sie die Lerngruppen zusammen. Ideal ist es, wenn wie heute etwa gleich viele KZO-Schüler*innen anwesend sind wie Lernwillige. Dann bilden sie Zweierteams. Auch der Unterrichtsinhalt ist nicht festgelegt, die Lerngruppen entscheiden selbst, was ansteht. Mal wird Grammatik gebüffelt, mal spielen sie Tabu, mal arbeiten sie an einer Bewerbung.

Andrea Looser und Urs Strässle sind Lehrpersonen an der KZO und verantwortlich für den Kurs. Sie fungieren am Freitagabend als Coaches und Organisator*innen, besorgen Unterrichtsmaterial und beantworten Fragen. Deutschlehrer Urs Strässle unterrichtet im Freifach auch manchmal selbst, heute bildet er mit Merita eine Lerngruppe.

Eine sinnvolle Aufgabe für Schüler*innen der KZO

Elena ist an diesem Abend zum dritten Mal dabei. Sie habe sich schon eine Weile überlegt, das Freifach zu belegen, erzählt sie. Aber sie habe immer so viel zu tun wegen der Schule und dann sei die Stunde ausgerechnet am Freitagabend – Elena zögerte. Aber als sie im Stage in der Romandie mit Arbeitskräften aus Polen arbeitete, die kaum Französisch konnten, merkte sie wieder, wie sinnvoll ein solches Angebot ist. «Ich bin gerne mit Menschen zusammen, es macht mir Spass zu helfen», erklärt sie ihre Motivation. Und nach drei Wochen sei sie sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben – Freitagabend hin oder her.

Auch Mihael ist mit grosser Leidenschaft dabei. Natürlich könnte er jetzt zuhause rumlümmeln und den Feierabend geniessen, meint er schulterzuckend. Aber er fände es sinnvoller, etwas «weiterzugeben». Das heisst in der Praxis: Seit mehr als einem halben Jahr belegt Mihael das Freifach und übt mit Muhammad Deutsch. Mit Erfolg: Lehrling Muhammad hat enorme Fortschritte gemacht und mittlerweile können sich die jungen Männer gut miteinander unterhalten. «Am Anfang gab es auch witzige Situationen, ausgelöst durch sprachliche Verwechslungen», erinnert sich Mihael lachend.

Niederschwellig, kostenlos und flexibel

Der Besuch des Kurses ist für die fremdsprachigen Teilnehmer*innen kostenlos und es ist keine Anmeldung nötig. Dieser niederschwellige Zugang zeichnet das Angebot aus, bringt aber auch Nachteile mit sich. «Es gibt immer wieder solche, die nur einmal kommen und dann nie wieder. Man erfährt nicht, warum», bedauert Andrea Looser. Auch wenn jemand nach einer Weile mit dem Unterricht aufhört, bricht der Kontakt meist ab. Umso mehr freut es Andrea Looser, wenn sich ehemalige Lernende melden. So wie kürzlich der junge Mann aus Eritrea, der den Unterricht vor vier Jahren besuchte und heute eine Aufenthaltsbewilligung und Arbeit in der Schweiz hat.

Nicht nur der Name des Kurses ist einem Wandel unterworfen, auch die Form. Bis zur Coronapandemie wurde jeweils im ökumenischen Mittelschul-Foyer gemeinsam gekocht und der Unterricht fand in einer grösseren Gruppe statt. Aufgrund der Schutzmassnahmen wurde das Freifach ins Schulhaus verlegt und sie arbeiten in kleinen Gruppen verteilt über mehrere Zimmer. Seit dieser Veränderung kommen mehr Frauen zum Unterricht, stellen Andrea Looser und Urs Strässle fest.

Nach eineinhalb Stunden lachen und lernen löst sich die Gruppe auf. Elena und Mihael verabschieden sich in den verdienten Feierabend. Abibe, Eva und Teresa müssen sich noch etwas gedulden: Sie haben ihr Arbeitsende wegen dem Deutschkurs nach hinten verschoben. Es ist genau dieser Lerneifer der fremdsprachigen Teilnehmer*innen, der das Freifach auszeichnet und es zusammen mit dem Engagement von Andrea Looser, Urs Strässle und den KZO-Schüler*innen zu einem erfolgreichen Projekt macht.