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Mitdenken erwünscht – das Zürcher Vorprojekt zu WEGM

WEGM – die Weiterentwicklung der gymnasialen Maturität – ist in aller Munde, die Mittelschulen in der Schweiz stehen vor der nächsten grossen Reform. Christina Gnos ist Projektleiterin des Zürcher Vorprojekts und erklärt im Gespräch, warum sie die Veränderung als Chance sieht und wie Interessierte heute aktiv werden können.

5. Juni 2023

Frau Gnos, was ist das «Zürcher Vorprojekt»?

Auf nationaler Ebene werden die Vorgaben für die gymnasiale Maturität weiterentwickelt und der Rahmenlehrplan aktualisiert. Wir – das sind die Schulleiterkonferenz (SLK), die Lehrpersonenkonferenz (LKM) und das Mittelschul- und Berufsbildungsamt (MBA) – wollen im Kanton Zürich die Zeit nutzen, bevor die nationalen Rahmenbedingungen beschlossen sind und im Zürcher Vorprojekt einen Raum schaffen, in dem man frei und offen über die Zukunft der Zürcher Mittelschulen diskutieren kann.

Mit dem Zürcher Vorprojekt soll es gelingen, dass die Mittelschulen im Kanton Zürich mit einem gemeinsamen Verständnis in die Umsetzung der nationalen Vorgaben gehen.

Was erhofft man sich von diesem Projekt?

Sobald die nationalen Vorgaben vorliegen werden, wird der Fokus automatisch auf der Umsetzung derer liegen. Uns ist es deshalb wichtig, dass wir uns im Kanton Zürich bis dahin die Zeit nehmen und hinschauen, wo es an den Zürcher Gymnasien Herausforderungen und Handlungsbedarf gibt und wie wir diesen begegnen wollen. Später kommen die Perspektiven zusammen: Die nationalen Vorgaben müssen umgesetzt werden, gleichzeitig sollen auch die im Zürcher Vorprojekt entwickelten Stossrichtungen weiterverfolgt werden.

Mit dem Zürcher Vorprojekt soll es gelingen, dass die Mittelschulen im Kanton Zürich mit einem gemeinsamen Verständnis in die Umsetzung der nationalen Vorgaben gehen.

Sie sprechen von Herausforderungen an den Mittelschulen. Welche sind das konkret?

Das sind in etwa die fünf Handlungsfelder, die im Rahmen des Vorprojekts aktuell in Workshops bearbeitet werden (s. Box).

Man muss dazu sagen, dass diese Handlungsfelder nicht trennscharf oder abschliessend sind. Die ersten Workshops liegen bereits hinter uns und wir haben – wie vermutet – gemerkt, dass sich ein einzelnes Thema nicht losgelöst von den anderen Themen diskutieren lässt. Aber trotzdem lohnt es sich, einen Fokus zu setzen.

Wir sehen diese Handlungsfelder als Startpunkt der Diskussion und gehen davon aus, dass im Prozess noch neue Handlungsfelder auftauchen werden.

Die fünf Handlungsfelder

  • Lehr-/Lernsettings und Stundenplanstruktur
  • Fachlichkeit und Überfachlichkeit
  • Vertiefungsmöglichkeiten
  • Belastungen
  • Schulisches und kantonales Angebot

Die fünf Handlungsfelder wurden während der Vorbereitung des Zürcher Vorprojekts von MBA, SLK und LKM erarbeitet und basieren auf verschiedenen Grundlagen und Dokumenten. Dazu zählen unter anderem ein Bericht aus der Schülerschaft, ein Bericht des Instituts für Erziehungswissenschaften mit Praxisbeispielen zu aktuellen Trends in der Unterrichtsentwicklung oder ein Positionspapier der SLK. Auch Befragungen an verschiedenen Schulen und die Erfahrung aus der täglichen Arbeit des MBA sind eingeflossen. Die Themen wurden dann gruppiert und im Gespräch mit verschiedenen Personen ergänzt und ausgearbeitet.

Diese Handlungsfelder werden aktuell in fünf Workshops bearbeitet. Können sich Lehrpersonen oder andere Anspruchsgruppen auch ausserhalb dieser Workshops einbringen?

Selbstverständlich. Wir sind sehr offen und interessiert, alle Sichtweisen und Inputs zu hören. Wer Ideen, Anliegen oder konkrete Vorschläge hat, darf sich gerne bei uns melden. (s. Kontaktangaben in der Box).

Nach den Workshops wird es im Rahmen der Projektorganisation zur Umsetzung der neuen nationalen Vorgaben verschiedene Arbeitsgruppen geben, in denen Themen vertieft werden. Da braucht es auf jeden Fall Personen, die mitmachen und -denken.

Wir sind sehr offen und interessiert, alle Sichtweisen und Inputs zu hören.

Was kann man denn im Prozess neu denken? Welche konkreten Punkte sind das?

An vielen Schulen gibt es eine Art Traditionen – man macht Dinge einfach so, wie sie schon immer gemacht wurden. Es gibt natürlich Vorgaben, an die man sich halten muss, vieles könnte und dürfte aber verändert werden. Dafür fehlt oft das Bewusstsein und manchmal werden Regeln vermutet, wo gar keine sind.

Wir wollen an den Schulen das Bewusstsein dafür schärfen, wo mögliche Freiheiten liegen. In welchen Bereichen also schon heute viel Freiraum für Veränderungen bestehen würde. Wir wollen aber auch diejenigen Vorgaben identifizieren, welche aus heutiger Sicht nicht mehr stimmig sind und Weiterentwicklungen verunmöglichen. Und in einigen Bereichen wird es sicherlich – vor allem aufgrund des geänderten Maturitätsanerkennungsreglements – auch neue Vorgaben brauchen.

Gibt es da Beispiele?

Der schnelle Wechsel der Fächer im 45-Minuten-Takt ist ein Beispiel dafür. Aber auch der an vielen Schulen verbreitete angestrebte Notenschnitt bei Prüfungen oder die implizite Regel, dass es mindestens so viele Prüfungen wie Lektionen geben muss. Da gibt es an den Schulen unterschiedliche Regelungen und gerade als junge Lehrperson übernimmt man diese Traditionen sehr schnell. Es könnte gewinnbringend sein, diese vermeintlich gesetzten Eckpunkte zu hinterfragen und einzelne Aspekte der Schule neu zu gestalten.

Es geht im Zürcher Vorprojekt also auch um einen Kulturwandel?

Genau. Es geht uns, neben der Umsetzung der Neuerungen im Rahmen von WEGM, auch darum, die Freiräume aufzuzeigen, die es den Schulen ermöglichen, einzelne Aspekte der Schule neu zu denken. Wir wollen im Rahmen des Vorprojektes herausfinden, in welche Richtung sich die Schulen entwickeln sollen und welche Ressourcen die Schulen brauchen, um das für sie passende Modell zu entwickeln.

Die Resultate aus dem Vorprojekt werden an die Schulen zurückgespielt, danach geht es in die Umsetzung. Dabei müssen wir unterscheiden: Wo braucht es Rahmenbedingungen, die rechtlich verankert sein müssen und wo braucht es Positionspapiere, die eine Ausrichtung und Kultur aufzeigen.

In den Schulen gibt es die grosse Angst, dass nun immer mehr Inhalt kommt, aber die verfügbare Zeit gleich bleibt. Das verursacht bei Lehrpersonen und Schüler*innen Stress. Ist auch das ein Thema im Vorprojekt?

Das sind grosse Themen, die uns sehr beschäftigen. Auf nationaler Ebene geht aktuell der Rahmenlehrplan in die Vernehmlassung. Und da wirken wir darauf hin, dass dieser sehr viel schlanker sein muss als die erste gezeigte Version. Diese Message ist angekommen bei den Verantwortlichen. Im Herbst sehen wir die zweite Version und können nochmals Einfluss nehmen. Es stellt sich auch die Frage, was man auf kantonaler Ebene vorbereiten kann und was die Schulen individuell ausarbeiten müssen.

Ich verstehe, dass bei den Schulen eine gewisse Reformmüdigkeit herrscht.

Gibt es andere Ängste und Sorgen, die an Sie herangetragen werden?

Es stellt sich generell die Frage nach dem Leistbaren. Wie viel zusätzliche Arbeit können wir leisten, wie viele Reformen sind möglich? Da müssen wir ehrlich sein: Neues ist nur leistbar, wenn genügend Ressourcen vorhanden sind und wenn man auch mal Bestehendes sein lassen darf. Dieses «Drauf-Addieren», wie es in den letzten Jahren gemacht wurde, funktioniert nicht mehr.

Ich verstehe, dass bei den Schulen eine gewisse Reformmüdigkeit herrscht. Die erste Reaktion auf neue Ideen ist oft ablehnend. Das Vorprojekt will erreichen, dass bei neuen Ideen keine Angst, sondern Neugierde und Vorfreude aufkommt. Wir haben jetzt die Chance, die Schule weiterzudenken.

Schulreformen waren bislang immer sehr gross. Und mussten dann auch 30 Jahre bestehen. Wir sind der Meinung, dass das heutzutage nicht mehr funktioniert, weil sich die Welt sehr schnell verändert. Deshalb soll es nicht ein riesiges Paket mit Regeln und Vorgaben für 1000 Aspekte sein, sondern kleinteiliger.

Wie geht es nach den Workshops weiter?

Wir haben bewusst ein sehr prozessorientiertes Vorgehen gewählt. Geplant ist, dass wir in den Workshops die Handlungsfelder konkretisieren, ergänzen und dann Ideen für die Weiterentwicklung daraus ableiten. Es ist schwierig zu beurteilen, wie gut das funktionieren wird. Die Ideen sind zahlreich und zum Teil komplex und es wird nicht einfach sein, sie auf konkrete Massnahmen herunterzubrechen.

Im Juli liegt das MAR/MAV (Maturitätsanerkennungsreglement/Maturitätsanerkennungsverordnung) vor, der Rahmenlehrplan kommt etwas später. Dann muss man die kantonalen Stossrichtungen und die nationalen Vorgaben abgleichen und schauen, was es nun auf kantonaler Ebene braucht. Und eben auch nicht braucht – die Schulen müssen genügend Freiheiten haben, sich individuell entwickeln zu können.

Information und Kontakt

Christina Gnos ist Projektleiterin des Zürcher Vorprojekts. Sie freut sich auf die Kontaktaufnahme und den Austausch von und mit Schulangehörigen. Kritik, Ideen und Fragen zum Zürcher Vorprojekt nimmt sie unter E-Mail christina.gnos @ mba.zh.ch entgegen.

Auf der Website des Kantons Zürich finden sich weitere Informationen zum Zürcher Vorprojekt. Hier können auch die oben genannten Grundlagen-Dokumente heruntergeladen werden.