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Julia Bassili oder Die Kraft ätherischer Öle

Die Welt ist ein einziger Kampf. Wolf reisst Schaf, Löwe frisst Gnu, und der Mensch führt Krieg mit sich selbst. Nicht anders ergeht es unserem Körper. Dieser stirbt täglich tausend Tode und steht dann doch wieder auf, um uns gegen heimtückische Viren und böse Bakterien zu schützen. Aber wie soll das gelingen, wo es doch so viele davon gibt? Julia Bassili weiss Bescheid. 

3. Juli 2020

Der Laie, und der Autor ist ein besonders blutiger, flüchtet sich gern in populärstatistisches Halbwissen: Ein Mensch besteht aus rund 30 Billionen Zellen und etwa 39 Billionen Bakterien. Das sind, über den Daumen gepeilt, rund 5000-mal mehr, als es Menschen auf der Welt gibt. Sie machen rund zwei Kilogramm des Körpergewichts aus und lassen sich weder absaugen noch weghungern. Warum auch? Die meisten von ihnen sind gut und für uns lebenswichtig – als Verdauungshelfer, Schutzschild, Müllabfuhr. Aber natürlich gibt es auch böse, die uns das Leben als Krankheitserreger und Infektionsherde schwer machen. 

Pandemie in Zeitlupe

Dagegen helfen Antibiotika. Diese werden eingesetzt bei Infektionen, die von Bakterien verursacht werden. Ihr antibiotischer Wirkstoff hemmt die Bakterien in ihrem Wachstum oder tötet sie ganz ab. Das Problem liegt darin, dass immer mehr Bakterien Resistenzen entwickeln und Antibiotika ihre Wirksamkeit verlieren. 700'000 Menschen sterben jährlich, weil Antibiotika nicht mehr helfen – in der Schweiz sind es rund 300. Die Medien sprechen bereits von einer Pandemie in Zeitlupe.

Die zunehmende Resistenz der Bakterien gegen Antibiotika ist ein Problem, das im Verborgenen liegt, aber umso schwerer wiegt. «Die Gefahr nimmt zu, dass es gegen viele Krankheitserreger keine wirksamen Antibiotika geben wird und bereits kleinste, bisher noch harmlose Infektionen zu einer tödlichen Gefahr werden können», sagt Julia Bassili, «deshalb ist die Suche nach neuen antibiotischen Wirkstoffen unerlässlich.» 

Die Kraft der Natur

Neue mögliche Antibiotika wären ätherische Öle. Einige dieser «komplexen, flüssigen, stark riechenden und fettlöslichen Gemische» entfalten eine antibakterielle und antimykotische Wirkung. Damit können sie das Immunsystem und somit unseren Körper dabei unterstützen, besser mit Krankheitserregern – auch antibiotikaresistenten – fertig zu werden. Entscheidend dabei ist ihre minimale Hemmstoffkonzentration, die Auskunft darüber gibt, in welcher (tiefstmöglichen) Konzentration sie noch hemmen können.

Es war nicht allein die Faszination für dieses Thema, das Julia Bassili dazu bewog, sich in ihrer Maturitätsarbeit an der Kantonsschule Freudenberg mit der «Antibakteriellen Wirkung ätherischer Öle» zu befassen. Eine zusätzliche Motivation war die Tatsache, dass ätherische Öle bis heute kaum als antimikrobiell wirksame Substanzen Verwendung finden. Dabei wäre es höchste Zeit für die Entwicklung konkreter Produkte, um Lösungen für die Post-Antibiotika-Ära bereit zu stellen.

Forscherin und Weltbürgerin

Julia Bassili ist eine junge Frau mit vielen Talenten. Geboren in Basel, verbrachte sie ihre frühe Kindheit in Singapur und kehrte erst mit neun Jahren in die Schweiz zurück. Der offene Umgang mit anderen Ländern und Kulturen ist ihr gleichsam in die Wiege gelegt worden, denn sie trägt einen griechischen Namen, und ihr Vater hat libanesische Wurzeln. Von klein auf war Julia ein aufgewecktes, vielseitig interessiertes Kind. Wenn sie ein Thema für sich entdeckte, wollte sie alles darüber wissen – beispielsweise über Delphine, die sie besonders faszinierten. Heute spielt sie Klavier und betreibt mit Begeisterung den Kampfsport Wing Tsun, der das Körperbewusstsein steigert, den Geist schult und die Konzentrationsfähigkeit fördert.

Das Interesse an der Medizin hat sie nicht geerbt, wohl aber ihre Fähigkeit, strukturiert zu denken und den Dingen auf den Grund zu gehen. Als sie im Dezember 2018 einen Artikel über den Einsatz von ätherischen Ölen zur Bekämpfung von pathogenen Spitalbakterien in die Finger bekam, stand ihr Entschluss bald fest, dass sie ihre Maturitätsarbeit genau diesem Thema widmen wollte. So setzte sich Julia zum Ziel, die minimale Hemmstoffkonzentration für einige ätherische Öle experimentell zu bestimmen.

Eintauchen in die Welt der Wissenschaft

Experimente dieser Art sind nur im Labor möglich. Aber woher nimmt man auf die Schnelle ein Labor? Ganz einfach: Über eine Kollegin, die an einer Hochschule arbeitet und Julia den Kontakt zu ihrem Chef vermittelt. «Für mich war dieser Chef ein Glücksfall», erinnert sich Julia Bassili. «Mit seinem Vertrauen und seiner Grosszügigkeit hat er mir die Tür zum Labor geöffnet, sämtliches Material zur Verfügung gestellt und mich sehr gut betreut.» So erhielt die Jungforscherin in den Sommerferien 2019 Zugang zur Welt der praktischen Wissenschaft – und damit die Gelegenheit, ihre Experimente während zwei Wochen ganztags durchzuführen.

Das Wetter hätte in diesen zwei Wochen nicht besser sein können. Während ihre Freundinnen am Strand lagen und in der Sonne schmorten, zog Julia den weissen Kittel an und blühte zwischen Platten, Pipetten, Ölen und Emulgatoren förmlich auf. Sie führte verschiedene Experimente durch, testete unterschiedliche Methoden, musste Rückschläge verkraften, weil die eine oder andere Agarplatte kontaminiert war, und hatte am Schluss dann doch gut dokumentierte und aussagekräftige Resultate in der Hand.

«In den verschiedenen Tests hat sich übereinstimmend gezeigt, dass Oregano-, Thymian-, Nelkenblüten- und Zimtrindenöl die stärkste antibakterielle Wirkung erzielen», fasst Julia ihre Erkenntnisse zusammen, «gefolgt von Zitronengras-, Geranien- und Rosmarinöl. Meine Hypothese, dass gewisse ätherische Öle das Wachstum von Erregern hemmen können, die gegen herkömmliche Antibiotika resistent sind, konnte ich nicht umfassend bestätigen. Dafür wären weitere Experimente nötig gewesen.»

Anwendungsgebiete für ätherische Öle

Sind ätherische Öle nun geeignet als Ersatz für Antibiotika? Jein. Wohl haben sie das Potenzial, Desinfektionsmittel oder eben Antibiotika zu ergänzen oder sogar zu ersetzen. Aber sie sind auch empfindlich auf Sauerstoff, Licht, Feuchtigkeit und Hitze und somit instabil. «Wenn es um Leben und Tod geht», sagt Julia, «sind Antibiotika nach wie vor das Mass aller Dinge. Ätherische Öle haben erwiesenermassen eine antibakterielle Wirkung – aber ob sie das Zeug dazu haben, Bakterien nicht nur zu hemmen, sondern abzutöten, müsste erst noch in vivo geklärt werden.»

In anderen Einsatzgebieten wird eine mögliche Verwendung ätherischer Öle intensiv erforscht. Beispielsweise in der Nahrungsmittelindustrie. Hier hilft ihre hemmende Wirkung, den Schimmelbefall zu verzögern und Lebensmittel länger haltbar zu machen. Bereits im Einsatz sind sie in verschiedenen Pflege- und Putzmitteln, z. B. in Fusssprays oder zur Reinigung von privaten und öffentlichen Toiletten, wo ihr angenehmer Geruch ein willkommener Nebeneffekt ist. «Sehr gute Erfahrungen haben Spitäler auch schon mit ätherischen Desinfektionsmitteln und Raumsprays gemacht», bestätigt Julia, «sie können das Wachstum von Bakterien, Hefen und Pilzen auf Tischen und anderen Oberflächen um bis zu 90 Prozent verringern – was dazu führte, dass deutlich weniger Antibiotika und Medikamente für die Lungen verabreicht werden mussten.»

Medizin oder Biomedizin – das ist die Frage 

Und jetzt, Julia Bassili: Wohin geht die Reise? «Zuerst einmal ganz sicher in ein Zwischenjahr. Das kann ich mir mit siebzehn locker leisten. Im Herbst mache ich ein 3-monatiges Spitalpraktikum, und dann möchte ich Spanisch lernen – am liebsten in Spanien – und vielleicht sogar in einem Labor arbeiten.»

Danach ist ein Medizinstudium geplant. «Ich arbeite sehr gerne praktisch und kann mir gut vorstellen, Ärztin zu werden», sagt sie, «aber die Forschung reizt mich genauso. Teil eines Forschungsteams zu sein, das innovativen Ideen nachgeht und die Medizin voranbringt – das ist eine schöne Vorstellung. Wo, wann und wie, spielt im Moment noch keine Rolle. Da ich später auch einmal im Ausland leben möchte, bin ich offen für alles, was kommt.»

Bei so viel Talent sollte da eigentlich nichts schiefgehen. Farewell, Julia, und good luck!