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Ein riesengrosses Wirrwarr

Als ich im Januar meine Bewerbung für das Studium abschickte, hatte ich nur einige vage Vorstellungen davon. Keine davon hatten etwas mit Zoom oder Masken zu tun, und ich freute mich noch auf die bevorstehende Zeit. Ein Erfahrungsbericht über den Wechsel vom Gymi an die Universität in Zeiten von Corona.

4. Dezember 2020

«Wieso studierst du denn Informatik an der Uni Zürich und nicht an der ETH?» Immer wieder diese eine selbe Frage. Ehrlich gesagt, hatte ich andere Fragen zum Beginn meines Studiums erwartet und eigentlich ist die Antwort auch relativ simpel: Die Studiengänge sind grundverschieden aufgebaut und jener an der Universität hat mir schlicht mehr zugesagt. Oft geben sich die Fragenden mit dieser Antwort zufrieden, doch bei manchen spiegelt sich weiter leichtes Unverständnis in den Augen, für sie wirkt es wohl wie eine Verschwendung. Vielen Dank auch.

Zugegebenermassen, spult man ein Jahr zurück, stellte auch ich mir diese Frage. Die Wahl des Studiengangs. Ein Horror, der mich in seiner Natur an die Profilwahl für die Mittelschule vier Jahre zuvor erinnerte. Nur war es damals eine Wahl zwischen fünf Optionen, die keinen massgeblichen Einfluss auf meine Zukunft hatte. Bei der Studienwahl sah das etwas anders aus. Hunderte Fächer und etliche Hochschulen boten sich mir an, und ich war schlicht überfordert. Zuletzt hörte ich auf mein Bauchgefühl und entschied mich, Informatik an der Universität Zürich zu studieren, wo der Fokus viel stärker auf dem Zusammenspiel von Informatik, Gesellschaft und Wirtschaft liegt als an der ETH, wo die Technik im Fokus steht.

Auf dem Boden der Realität ankommen

Zu Beginn war alles sehr aufregend. Aufgrund des Coronavirus’ fanden die Veranstaltungen an der Universität im so genannten Mixed-Mode statt. Hierbei wurden die Studierenden meiner Fakultät in fünf Gruppen unterteilt, denen jeweils Anwesenheitsblöcke zugewiesen wurden. Sonst hiess es Zoom oder Podcast. Zwar bedeutete dies für mich, dass ich den ersten vier Vorlesungen online beiwohnen musste, dennoch war ich am Sonntag vor Semesterstart unheimlich nervös. So schlimm, wie vier Jahre zuvor, als ich die Kantonsschule zum ersten Mal betrat – damals hatte ich den ganzen Vortag nichts gegessen – war es nicht, doch fühlte ich mich auch nicht wohl.

Am 14. September war sie dann da: Meine erste Vorlesung. Es war in diesem Moment, dass ich wieder auf dem Boden der Realität ankam. Nachdem ich drei Monate lang tun konnte, was ich wollte, und nur selten vor acht Uhr aufgestanden war, waren unterrichtsähnliche Zustände eine rechte Umstellung. Früh aufstehen, Hausaufgaben, Lernen, Prüfungen. Wahrlich vermisst hatte ich das nicht.

Alles oder nichts

In den ersten Vorlesungen wurde vor allem Organisatorisches besprochen. Dass sich meine sonst guten organisatorischen Fähigkeiten in meinem Privatleben nun aber leider nur äusserst selten blicken lassen, wurde mir hier schnell zum Verhängnis. Prompt verpasste ich in der zweiten Woche die Abgabe der ersten von fünf Übungen, deren akkumulierte Punktzahl im Fach Informatik und Wirtschaft relevant für die Prüfungszulassung ist.

Schnell war klar: Im Gegensatz zur Mittelschule läuft an der Uni viel nach dem Alles-oder-nichts-Prinzip.

Zwar hatten Abgaben an der Mittelschule einen Einfluss auf die Note, doch handelte es sich dabei stets um einen kleinen Baustein. Eine ungenügende Note in einer Prüfung war nichts weiter als eine von vielen Noten. Im schlimmsten Fall war die Note im Zeugnis ungenügend, doch auch das musste nicht von Bedeutung sein. So war mir war meine Chemienote stets egal, meine anderen Noten waren gut und ich konnte mir das erlauben. Im Studium kommt man mit dieser Einstellung nicht grossartig weiter: Im Assessment der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät muss ich alle Fächer bestehen, ob sie mir nun gefallen oder nicht.

Auf den letzten Drücker

Es war mit Sicherheit die grosse Eigenverantwortung, die mir am schwersten fiel. Während mein Zeitmanagement zu wünschen übrig lässt, kann meine Fähigkeit zu prokrastinieren beeindrucken. Dabei verschwende ich meine Zeit nicht mal per se, doch bezweifle ich rückblickend, dass das Lesen von mehr als einem Dutzend Büchern im Oktober, die allesamt nichts mit meinem Studium zu tun hatten, sonderlich förderlich für meinen Fortschritt in diesem war.

Grundsätzlich gebe ich Aufgaben zwar rechtzeitig ab, doch ist es zumeist der Vorabend, den ich als angemessen betrachte, um etwas zu erledigen.

Das war an der Kanti nur selten ein Problem, weder wenn es ums Lernen ging, noch wenn eine Abgabe bevorstand. Ganz hinter mir gelassen habe ich diese Strategie noch immer nicht, und die Rückmeldungen auf meine bisherigen Abgaben waren allesamt erfreulich. Den Semesterprüfungen, die mich in Kürze erwarten, stehe ich jedoch skeptisch gegenüber.

Den Umständen entsprechend, war es diesen Sommer die richtige Entscheidung, die Maturitätsprüfungen ausfallen zu lassen. Nun, da die Prüfungswoche an der Uni jedoch bevorsteht, merke ich immer mehr, dass ich die Erfahrung gerne gemacht hätte. Nie zuvor musste ich sechs grosse Prüfungen innert vier Tagen schreiben und ich habe keinerlei Vorstellung davon, was mich erwarten wird. Die Maturitätsprüfungen wären mit Sicherheit eine gute Vorbereitung gewesen.

Selbstdisziplin üben und Prioritäten setzen

Ganz allgemein fällt es mir schwer zu glauben, dass das Semester nun plötzlich schon vorüber sein soll. Meinem Empfinden nach, hat das Studium erst vor einigen Tagen begonnen. Das dauerte an der Kantonsschule schon etwas länger. Nichts in den letzten drei Monaten entsprach dem, was ich beim Absenden meiner Bewerbung erwartet hatte. Nachdem Mitte Oktober auch die wenigen Präsenzveranstaltungen komplett digital wurden, verbrachte ich meine Zeit damit, in meinem Zimmer zu studieren und zwischen Bett und Schreibtisch herumzutigern.

Persönlich sagen mir die Vorlesungen auf Zoom weniger zu als die zur Verfügung gestellten Aufzeichnungen. Bei letzteren kann man zurückspulen, wenn man etwas nicht verstanden hat oder sie auf doppelter Geschwindigkeit abspielen, wenn es mal schneller gehen soll. Die Aufzeichnungen regelmässig zu schauen, um nicht zurückzufallen, erfordert jedoch ein gewisses Mass an Selbstdisziplin. So weit konnte ich diese aufrechterhalten. In BWL – ein Pflichtmodul, für das ich ohnehin nur mässig viel Begeisterung aufbringen kann – sieht das jedoch anders aus. Als der Professor begann, die Theorie hinter der Theorie der Managementlehre zu erklären, verlor ich die Selbstdisziplin gänzlich, sodass ich in naher Zukunft einen BWL-Vorlesungsmarathon einlegen muss. Wofür braucht man schon Netflix? So ist es zwar gut möglich, sich auch während des Studiums Prioritäten zu setzen, der Unterschied besteht jedoch darin, dass ich die BWL-Prüfung bestehen muss und eine ungenügende Note nicht einfach mit Nonchalance hinnehmen kann. Hiermit muss man sich abfinden.

Not macht erfinderisch

Zeitmanagement und Selbstorganisation jedoch beiseite. Zwar fiel mir dies schwer, doch konnte ich damit umgehen. Was mir am Studium fehlt, ist die Gesellschaft von Leuten, die ich gut kenne. Einige Leute lernte ich an der Uni kennen, doch sah ich auch diese, den minimalen Anwesenheitsmöglichkeiten verschuldet, nur sehr selten. Im ersten Moment war es ein kleiner Schock, zu realisieren, wie viel Aufwand damit verbunden ist, mit Leuten in Kontakt zu bleiben. Spätestens als eine Freundin und ich einen Doodle erstellen mussten, um einen Termin zu finden, an dem wir beide Zeit hatten, realisierte ich, wie sehr unsere Leben nun auseinanderdrifteten. Das Wissen, dass es nicht mehr selbstverständlich ist, einander ständig zu sehen, macht jedoch auch kreativer. Mal eben mit dem Auto nach Graubünden zu fahren, bei 0°C in diesem zu übernachten und am nächsten Tag mehrere Stunden wandern zu gehen, wäre mir inmitten des Semesters an der Kanti nicht in den Sinn gekommen.

Es haben sich gewisse Routinen eingespielt. Manche Leute sieht man regelmässig, andere nur selten, man freut sich jedoch stets, einander zu sehen. Der Mittelschulalltag war an sich sehr viel abwechslungsreicher als jener an der Universität, wenn man diesen nicht ausschmückt. Da waren der Schulsport, die sprachlichen und naturwissenschaftlichen Fächer und das Freifachangebot. Von allem war etwas dabei und am Ende des Tages war man zumeist erschöpft. Je nach Studienfach hat man an der Uni verhältnismässig nur wenige Pflichtveranstaltungen, der Unterricht ist themenspezifischer und man ist selber dafür verantwortlich, für Abwechslung zu sorgen. Meist gefällt mir das. Ich kann arbeiten gehen und die Aktivitäten im Freundeskreis sind aufregender. Manchmal jedoch ist es auch schlicht ermüdend, die Abgaben häufen sich und das Familiäre und Rücksichtsvolle, das die Kantonsschule umgab, ist verschwunden. Entweder man leistet oder man leistet nicht, in nur wenigen Fällen wird eine Ausnahme gemacht. So kommt das Leben an der Universität mit seinen Vor- und Nachteilen daher, gegen ein Leben an der Kantonsschule würde ich es dennoch nicht eintauschen.

Über die Autorin: Anne-Sophie Skarabis

Anne-Sophie Skarabis ist 18 Jahre alt. Sie besuchte die Kantonsschule Zürcher Oberland (KZO) und studiert seit diesem Herbst Informatik an der Universität Zürich. Als sie sich letzten Winter dafür einschrieb, hatte es das Coronavirus kaum auf die letzte Seite der Lokalzeitung geschafft. Heute sieht das ganz anders aus: Sie rennt zwischen Zoom, Präsenzveranstaltungen und ihrem Zuhause hin und her; übt sich in Selbstdisziplin, dem Setzen von Prioritäten und darin, ihre Maske nicht zu vergessen, wenn sie das Haus verlässt.