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Schüler*innen machen Politik

Studienwoche «Politik+» – so nennt sich die staatsbürgerliche Studienwoche an der Kantonsschule Zürcher Unterland. Vor den Herbstferien wurde sie nun zum zweiten Mal im neuen Gewand durchgeführt.

6. November 2020

Acht Uhr morgens, Freitag vor den Herbstferien. Während andere Schüler*innen versuchen, auch den letzten Schultag noch irgendwie über die Runden zu bringen, ist in der Aula der Kantonsschule Zürcher Unterland (KZU) von Müdigkeit nichts zu spüren. Über hundert Sechstklässler*innen haben sich hier versammelt. Im Rahmen eines klassenübergreifenden Parteienspiels haben sie je nach politischer Couleur Kampagnen geführt: Linke und Grüne machten sich für die Einführung eines Mindestlohns stark, Liberale wehrten sich gegen eine Frauenquote in politischen Gremien und Konservative bekämpften die Einführung einer aufteilbaren Elternzeit.

Und nun, am Freitagmorgen, ist der Zeitpunkt für die grosse Schlussdebatte gekommen. Wie in einem richtigen Ratssaal bildet auch hier die Sitzordnung das politische Spektrum ab: Ganz rechts sitzen zwei nationalkonservative Parteien, neben ihnen die Mitglieder der Liberalen. Links der Mitte finden sich grüne und sozialdemokratische Parteien.

Politik geht alle etwas an

Die Studienwoche «Politik+» hat an der KZU dieses Jahr zum zweiten Mal stattgefunden. Das Plus im Namen steht dabei für die Interdisziplinarität: Während im alten Format der staatsbürgerlichen Studienwoche die Fachschaft Geschichte für die Durchführung verantwortlich war, wirken neu auch Kolleginnen und Kollegen aus anderen Fachschaften mit. Die Überzeugung, die dahintersteht: Politik ist nicht Sache von Spezialist*innen, sie geht alle etwas an.

Die Mitwirkung von verschiedenen Fachschaften ermöglicht interdisziplinäre Zugänge: In ganztägigen Modulen zu Beginn der Woche werden Umweltthemen mit Biolog*innen behandelt, beim Deutschlehrer wird politisches Framing untersucht und um Kultursubventionen für das Opernhaus geht es bei der Musiklehrerin.

Politik in der Praxis

Zwei solche ganztägigen Module konnten die Schüler*innen am Montag und Dienstag besuchen, ab Mittwoch agierten sie als Politiker*innen einer Partei. Inspiriert von einem Podium mit Jungpolitiker*innen, organisiert vom Jugendparlament des Kantons Zürich, gaben sie ihren Parteien ein politisches Profil: Sie gaben ihrer Partei einen Namen, entwarfen Slogans und Parteilogos.

In einem Referat einer langjährigen Kampagnenleiterin lernten sie gute von schlechten Kampagnen zu unterscheiden, und schon am Donnerstag hatten sie Gelegenheit zur Anwendung: Vor jüngeren Schüler*innen führten sie ihre Kampagnen durch und versuchten die Zuschauer*innen von ihren Ansichten zu überzeugen. Eine Abstimmung direkt im Anschluss zeigte, wie erfolgreich sie dabei gewesen waren.

Bildergalerie: Wahlplakate

Subventionen fürs Opernhaus?

Am Freitagvormittag zeigt sich nun, wie sehr sich die Maturandinnen und Maturanden auf ihre Rollen eingelassen haben. Acht Streitfragen, aus den interdisziplinären Modulen hervorgegangen, stehen auf der Traktandenliste. In der ersten geht es um eine Umverteilung der Kultursubventionen: Das Opernhaus soll weniger Geld erhalten, andere Institutionen dafür mehr. Die Befürworter*innen legen sich ins Zeug: Flammende Plädoyers für die grosse Tradition der Oper sind zu hören und die wirtschaftliche Bedeutung des Opernhauses wird betont, Zahlen zu betroffenen Arbeitsplätzen werden genannt. Es ist zu spüren, dass sich die Schüler*innen im Modul zu Beginn der Woche intensiv mit der Thematik auseinandergesetzt haben. Trotzdem reicht es nicht: Das Opernhaus müsste – ginge es nach den Maturandinnen und Maturanden an der KZU – zukünftig auf einen Grossteil der Subventionen verzichten.

Zwischen Eifer, Ernst und Lachen

Viel zu reden gibt auch der Vorschlag, statt Mutterschafts- und Vaterschaftsurlaub eine Elternzeit einzuführen, die zwischen Vater und Mutter aufgeteilt werden kann. Schliesslich stimmen die Maturandinnen und Maturanden zu; und auch der Vorschlag eines Mindestlohnes von 20 Franken pro Stunde findet eine Mehrheit. Bei aller Ernsthaftigkeit der Debattierenden wird auch immer wieder gelacht, etwa wenn sich ein Schüler am Rednerpult ausgerechnet am emotionalen Höhepunkt seines Statements verhaspelt. Dass die Schüler*innen während des ganzen Morgens Masken tragen und in angemessenem Abstand sitzen müssen, tut der Diskussionsfreudigkeit keinen Abbruch. Und doch spielt Corona in der Studienwoche «Politik+» eine Rolle, auch inhaltlich. In der letzten Streitfrage geht es nämlich um die «ausserordentliche Lage» und um die Frage, ob in einer solchen Situation alle Entscheidungen vom Bund getroffen werden sollen. Die Streitfrage ist aus einem Modul zu den Folgen der Pandemie herausgegangen.

Kurz vor 12 Uhr ist die Schlussdebatte dann vorbei, aus engagierten Politikerinnen und Politikern werden wieder Maturandinnen und Maturanden, aus einem Ratssaal wieder die Aula der KZU, die Herbstferien können starten. Und vielleicht wurde beim einen oder anderen Schüler in dieser Woche doch der Wunsch geweckt, sich vermehrt politisch zu engagieren, und womöglich sitzt die eine oder andere Schülerin in wenigen Jahren als richtige Politikerin in einem richtigen Parlament und setzt sich dort mit mindestens so viel Engagement für ihre Anliegen ein.

Schülerbericht: Studienwoche «Politik+»

Tag 1 und 2

Während den ersten beiden Tagen stand uns eine Auswahl von mehreren Modulen über verschiedene Themen zur Verfügung.

Am Montag besuchten wir das Modul zum Thema Populismus. Ziel des Moduls war es, uns mit dem Thema Populismus vertraut zu machen und eine konkrete Fragestellung in Verbindung mit der Schweizer Politik zu erarbeiten. Nach einer kurzen Einführung konnten wir uns in Gruppen an den Begriff herantasten, indem wir Porträts zu den bekanntesten Beispielen von Populisten erstellten und sie präsentierten.

Am Dienstag widmeten wir uns der Globalisierung. Nachdem wir mittels eines Films in das Thema eingeführt wurden, kreierten wir Plakate zu verschiedenen Bereichen der Globalisierung und stellten sie der Gruppe vor. Nachmittags formulierten wir erneut eine konkrete Fragenstellung. Anschliessend informierten wir uns kurz über die Konzernverantwortungsinitiative und begutachteten eine Debatte von Vertretern für und gegen die Initiative. Die Debatte lieferte einen guten Einblick in die Anliegen beider Positionen. Die ersten beiden Tage boten einen guten Einstieg in die Welt der Politik, wodurch eine optimale Grundlage für die kommenden drei Tage geschaffen wurde.

Tag 3, 4 und 5

Am Mittwoch konnten wir am Morgen einer Debatte von Vertretern verschiedener Parteien des Jugendparlaments Zürich beiwohnen und wurden anschliessend in unsere Parteigruppen, für die wir uns am Vortag eingeschrieben hatten, eingeteilt. Innerhalb der Partei formten wir fünf Gruppen, vier davon beschäftigten sich je mit einer der Streitfragen, die in den Modulen vom Montag und Dienstag erstellt und von der Organisation ausgewählt worden waren. Die fünfte Gruppe bildete das Medienteam, dem auch wir angehörten. Zusammen mit den anderen Gruppen erarbeiteten wir die Kernanliegen unserer Partei und stellten sie anschliessend zu einem Parteiprogramm zusammen. Währenddessen evaluierten die anderen Gruppen die Streitfragen und verdeutlichten die Argumente aus Sicht der Partei. Daraufhin präsentierten sie ihre Ergebnisse der Klasse und einigten sich auf eine Ablehnung oder Annahme der Streitfragen. Unterdessen begannen wir als PR-Team die Arbeit am Parteivideo, welches unsere Ansichten nochmal klarmachen sollte. In dieser Zeit lernten die vier anderen Gruppen, wie man effektiv eine Kampagne erstellt.

Am folgenden Tag wurden die Videos aller Parteien in der Aula vorgestellt und eine Konsultativabstimmung zu den Streitfragen durchgeführt, bei der man sich strikt an die Vorgaben seiner Partei halten musste. Den Rest des Morgens verbrachten die Gruppen damit, ihre Kampagnen zu vervollständigen, um sie am Nachmittag dem unteren Jahrgang präsentieren zu können. Danach wurde noch eine kurze Reflexion zu den einzelnen Diskussionen gehalten.

Am Freitag wurde eine finale Diskussion in der Aula mit allen beteiligten Parteien geführt und eine Schlussabstimmung zu den Fragen gemacht.