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«Auf die Plätze, fertig – Schule!»

Die Zürcher Bildungslandschaft ist um eine Attraktion reicher: Am 17. August hat die Kanti Zimmerberg ihre Tore geöffnet und den Schulbetrieb aufgenommen. Nach monatelangen Vorbereitungen füllt sich der Campus hoch über Au/Wädenswil nun endlich mit Leben. Höchste Zeit für das Team um Rektor Urs Bamert – denn ohne Schüler*innen bleibt alles graue Theorie.

14. Oktober 2020

An eine Schule, die keine ist, muss sich das Auge erst einmal gewöhnen. Auf den ersten Blick würde niemand vermuten, dass hier, im ehemaligen Von-Roll-Gebäude im Gewerbegebiet Moosacher, vor kurzem die Kantonsschule Zimmerberg eingezogen ist. Aber genau so ist es gekommen: Die Industrie hat Platz gemacht für die Bildung – und bald wird klar, dass die Transformation mehr als gelungen ist.

Vom Bürogroove zur Schulhausstimmung

Eine Schule, die neu entsteht. Eine grüne Wiese, die neu bespielt wird. Alles wird neu gedacht, alles neu erfunden. Die Architektur, das Raumkonzept, die technische Ausrüstung. Das ehemalige Bürogebäude hat sich in ein zeitgemässes, attraktives Schulgebäude verwandelt, das seinem Namen alle Ehre macht. Der u-förmige Grundriss erweist sich dabei als Glücksfall: hier die Klassenzimmer, dort die Naturwissenschaften, und mittendrin Aula, Mensa und Mediothek.

Spektakulär ist das wilde Treppengeflecht, das dem Gebäude seinen ganz eigenen Charakter verleiht. Es führt die Besucher*innen über verschiedene Ebenen hinauf und hinunter und mit ein bisschen Übung sicher ans Ziel. Die zahlreichen Säulen, die im Raum stehen, sind bunt bemalt und sorgen für willkommene Farbtupfer. Und der grosszügige Innenhof lädt ein zum Verweilen, Arbeiten, Essen und Chillen.

Bürogroove? Das war gestern. Wer heute vorbeischaut, sieht und staunt. War da nicht die Skepsis, ob man eine so grosse Kiste in so kurzer Zeit überhaupt stemmen kann? Gab es da nicht die Unkenrufe, das Provisorium im Industriegebiet sei undenkbar, weil viel zu weitab vom Schuss? Die Zeit hat die Antwort gegeben. Die Bauarbeiten wurden termingerecht abgeschlossen, von Provisorium spricht niemand mehr, und auch der etwas weitere Schulweg hat das enorme Interesse an der neuen Schule in keiner Weise beeinträchtigt.

Alles ist neu, alles ist offen

Geplant war ein Start mit vier Klassen, zwei ersten und zwei dritten. Doch der Andrang war so gross, dass es jetzt drei erste und zwei dritte sind. Macht total 130 Schüler*innen, die heute noch viel Platz haben, die Schule aber schon im nächsten Schuljahr mit vielen neuen Gspändlis teilen werden. Geplant ist, dass jedes Jahr vier neue Klassen hinzukommen und an der Kanti in ein paar Jahren 500 Schüler*innen unterrichten werden. «Aufgrund der grossen Nachfrage könnten wir unser Angebot viel schneller ausbauen als geplant», sagt Prorektorin Alexandra Siegrist-Tsakanakis, «aber genau das wollen wir nicht. Unser Ziel ist ein organisches Wachstum, das uns allen die Zeit gibt, den einzigartigen Spirit unserer neu gegründeten Schule zu bewahren.»

Der Hinweis auf diesen ganz speziellen Schul-Spirit zieht sich wie ein roter Faden durch alle Gespräche. Die Aufbruchstimmung ist mit Händen greifbar, die Freude am Aufbauen und Gestalten einer komplett neuen Schule unüberhörbar. «Was wir hier erleben», sagt Rektor Urs Bamert, «ist mit Worten eigentlich gar nicht zu beschreiben. Wir alle spüren eine einzigartige Energie, die uns vorantreibt und weiterbringt. Es macht so viel Spass, gemeinsam etwas Neues zu schaffen – und natürlich schwingt bei allen auch ein bisschen Stolz mit.»

26 Lehrpersonen kümmern sich um die Schüler*innen, 7 Mitarbeitende in Verwaltung und Betrieb sind verantwortlich für die Bereiche Mediothek, Hausdienst und Technik sowie das Schulsekretariat. Hinzu kommen externe Dienstleister für die Reinigung und den Mensabetrieb. «Ich konnte es kaum erwarten, bis es endlich losgeht», sagt Karin Tognella, die als Leiterin der Zentralen Dienste gemeinsam mit Urs Bamert und Alexandra Siegrist-Tsakanakis die erweiterte Schulleitung bildet. «Wir haben in den zurückliegenden Monaten so viel diskutiert, an Projekten gearbeitet, Prozesse definiert und an Details gefeilt, dass es auch einmal ein Ende haben musste. Und dann kam dieser magische Moment, als ich aus dem Musikzimmer einen Trommelwirbel und ein erstes Klimpern auf dem Klavier vernahm. Da wusste ich: Jetzt sind wir ein Schulhaus.»

Ich lasse laufen

Urs Bamert ist sichtlich zufrieden, wenn er auf die ersten Schulwochen zurückblickt. Bereits zum zweiten Mal in Folge amtierte er als Projektleiter für den Schulaufbau, genau wie vor zwei Jahren an der Kanti Uetikon am gegenüberliegenden Seeufer. Seine grosse Erfahrung, die er als Rektor der Kantonsschule Wiedikon mitgenommen hat, kann er jetzt als neuer Gründungsrektor voll ausspielen. Aber das ist nur die Hälfte der Wahrheit: «Ich verstehe mich in erster Linie als Teamplayer, und ich habe das Glück, dass mein Team immer zu mir gehalten hat. Besser hätte es wirklich nicht kommen können. Wir können uns blind aufeinander verlassen.»

Und wenn er sagt, «ich lasse laufen», dann meint er das auch so. Eigenverantwortung auf allen Ebenen ist ihm wichtig, Eigeninitiative erst recht. «Unsere Lehrpersonen sind grossartig», schwärmt er, «alle sind hochmotiviert und jederzeit bereit, Mehrarbeit zu leisten oder einen Extrajob anzunehmen.» Rekrutiert hat er sie übrigens über ein einfaches Stelleninserat, das er in den Lehrerzimmern aller Zürcher Kantonsschulen aufhängen liess. «Fünfzig haben sich gemeldet, knapp die Hälfte davon hat heute bei uns ein Teilpensum.»

So ist er, der ehemalige Bergler aus dem Wägital: pragmatisch, zielstrebig, direkt. Er sagt, was er denkt, hört aber auch genau zu und ist immer offen für neue Ideen. Und auch wenn er nicht mehr der Jüngste ist, sprüht er vor Energie wie ein Zwanzig- oder, sagen wir, ein Vierzigjähriger. Bewahrt hat er sich auch die Empathie, mit der er seinen Schüler*innen und seinem Team begegnet. «Letztlich ist alles eine Frage der Kommunikation. Ich habe gelernt, den Menschen Raum zu geben. Fingerspitzengefühl, Verständnis und Einfühlungsvermögen helfen dabei in jedem Fall weiter.»

Zwischen den Welten

Für die Lehrpersonen ist das Unterrichten an der Kanti Zimmerberg kein Normalfall, sondern ein veritables Abenteuer. Noch sind sie alle ausgeliehen von ihren Stammschulen oder als Lehrbeauftragte befristet für ein Jahr angestellt, noch haben alle «nur» ein Teilpensum. Ende Schuljahr wird sich zeigen, wer definitiv an den Zimmerberg wechselt oder neu dazukommt.

Sicher ist, dass die Lehrpersonen ihr Wandern zwischen zwei Welten als grosse Bereicherung empfinden. Sie erleben eine neue Schulkultur, sind Teil des Gründungsteams, und sie helfen tatkräftig mit, den Schulbetrieb zu prägen und laufend zu optimieren. Der einstimmige Tenor lautet: «Hier können wir uns voll einbringen. Wir bauen das Fundament, auf dem die neue Schule viele Jahre stehen wird. Wenn wir irgendwo Verbesserungspotenzial sehen, machen wir das Beste daraus – auch wenn dabei kein Stein auf dem anderen bleibt.»

Erstaunt sind die meisten, wie gut bereits alles funktioniert. Der Fortschritt ist bis ins Detail spürbar. Die einmalige Chance, bei Null zu starten, hat die Prozesse beschleunigt und Vieles besser gemacht. «Dies geht so weit», sagt ein Lehrer, «dass wir die Ideen und Eindrücke, die wir hier sammeln, mitnehmen und an unseren Stammschulen umsetzen.» Verkehrte Welt – aber Verbesserungen sind immer willkommen.

Klein und persönlich

«Es fühlt sich schon noch ein bisschen leer an», sagt Lucius Mainberger, der in Wädenswil aufgewachsen ist, «aber das passt schon. Ich habe die ganze Primarschule in kleinen Schulhäusern verbracht, und jetzt kommt es mir fast so vor, als würde ich zurückkehren. Dazwischen war ich zwei Jahre im Freudenberg, aber das kam mir riesig vor.» Der Wechsel von der Stadt aufs Land, aber auch der kurze Anfahrtsweg haben ihm sichtlich gutgetan. Wenn die Sonne scheint, ist er mit dem Velo in gut zehn Minuten zuhause, sonst nimmt er den Bus, der direkt vor dem Schulhaus hält. «Schön wäre, wenn der Stundenplan besser auf den Taktfahrplan abgestimmt wäre. Heute verlieren wir deswegen ziemlich viel Zeit, aber das wird sich sicher bald ändern.»

Vom Unterricht selbst weiss Lucius bisher nur Gutes zu berichten. «Man spürt, dass die Lehrpersonen viel Erfahrung mitgebracht haben. Es ist angenehm, mit ihnen zu arbeiten, weil sie wirklich etwas bewegen wollen. Es herrscht eine offene Atmosphäre, in der auch wir uns voll einbringen können.»

Der Start ist gelungen, die Kanti Zimmerberg ist auf Kurs. Eigentlich unvorstellbar, dass dieses Provisorium 2028 endet und die Schule an ihren definitiven Standort im AuPark umziehen wird. Aber bis dahin fliesst noch viel Wasser den Zürichsee hinunter.

Text: Martin Stehli
Titelbild und weitere Bilder: Dani Ammann, Jürg Zimmermann