Drogen und Einbrecher – Strafrecht mit einem echten Strafverteidiger

Ist es moralisch vertretbar, einen Mörder zu verteidigen? Wie wird man Strafverteidiger? Herr Cadosch, ein erfahrener Strafverteidiger und Vater eines Mitschülers, besuchte den Unterricht der Klasse 4j an der KZU und stand den Jugendlichen Rede und Antwort.

15. November 2023

Herr Cadoschs authentische Herangehensweise, gepaart mit interessanten Anekdoten, kamen bei der Klasse gut an. Diese Einblicke in die Praxis der Strafverteidigung boten einen Kontrast zum sonst ziemlich trockenen Strafrechtsunterricht. Sie haben das Verständnis der Klasse für diesen Beruf vertieft und uns fasziniert und inspiriert.

Wie sind Sie Strafverteidiger geworden?

Ich bin auf unkonventionellem Wege zur Strafverteidigung gekommen, ja mehr durch Zufall. Nach der Matura habe ich mich für ein Studium der Wirtschaftswissenschaften eingeschrieben, da das alle in meinem Umfeld taten. Mehr als zwei Vorlesungen habe ich nicht besucht, mir war das Wirtschaftsstudium zu mathematisch. Also habe ich einen Freund angerufen und gefragt, was er studiere. Jus zu studieren, schien mir keine schlechte Idee zu sein.

Nach dem Studium habe ich ein Praktikum bei der Staatsanwaltschaft gemacht und dann die Anwaltspatentprüfung abgelegt. Zuerst habe ich bei einer Versicherung gearbeitet, das war mir aber zu theoretisch und mir fehlte der Kontakt zu den Menschen, darum habe ich gekündigt und mich selbstständig gemacht.

Was braucht es, um Strafverteidiger zu werden?

Die vier Ms sind sehr wichtig, das bedeutet «man muss Menschen mögen». Es ist wichtig, für die Klienten da zu sein. Betreuung ist sehr wichtig, da die Klienten sehr grossem Stress ausgesetzt sind. Gerade in solchen Situationen sollte man seine Klienten unterstützen. So habe ich einem Drogenschmuggler das Leben gerettet, indem ich ihn zu einer Operation überredet habe, um Drogenbeutel aus seinem Verdauungssystem herauszuholen. Hätte er sie drin gelassen, hätte das böse enden können.

Haben Sie Lieblingsklienten?

Mit vielen habe ich ein gutes Verhältnis und kenne sie schon jahrelang, manche schicken mir auch Weihnachtskarten.

Klient*innen kommen unterschiedlich häufig zu mir. Manche sind Einzeltäter*innen und schaffen es, ihr Leben wieder in den Griff zu kriegen. Andere sind – je nachdem, wie es bei ihnen privat läuft – mehr oder weniger kriminell. Stabile Beziehungen sind wichtig, um auf dem rechten Weg zu bleiben. Und wieder andere sind unverbesserliche Dauerklient*innen.

Einer meiner Klient*innen beging bewusst Straftaten, um erwischt zu werden, da er im Leben ausserhalb des Gefängnisses keinen Sinn fand. Dieser Mann wurde meiner Meinung nach von der Gesellschaft im Stich gelassen.

Haben Sie manchmal Gewissensbisse?

Nein, nicht wirklich. Es ist nicht so wie im Fernsehen – wenn man etwas getan hat, kommt man im Normalfall nicht einfach davon. Es gab auch schon einen Freispruch, bei dem ich wusste, dass mein Klient schuldig war, das war aber ein kleineres Vergehen. Immerhin ist es meine Pflicht im Interesse meiner Mandant*innen zu handeln.

Ich habe, wenn mich ein*e Drogendealer*in als Verteidigung erbittet, ein mulmiges Gefühl im Magen, da ich mir nicht sicher sein kann, woher dieses Geld kommt. Ich werde lieber als Pflichtverteidiger vom Staat bezahlt, denn da weiss ich, dass es gutes Geld ist.

Wie werden Täter*innen geschnappt?

Nicht alle Täter*innen werden durch Anzeigen oder Ermittlungen entlarvt, oft ist es auch purer Zufall. So hatte ein Anwohner, als er die Feuerwehr rief, keinen blassen Schimmer, dass der Rauch, den er sah, in Wirklichkeit warme Luft war. Diese strömte aus der Lüftung einer Marihuanaplantage und sah in der kalten Winterluft rauchähnlich aus.

Eine andere Marihuanaplantage – 40 Prozent meiner Fälle sind Drogenkriminalität – wurde der Polizei von Einbrechern gemeldet, die in die Lagerhalle eingebrochen waren, denen es jedoch nicht gelang, aus der Lagerhalle wieder auszubrechen. Der Besitzer der Plantage war ein begabter Schlosser und hatte ein einbruchsicheres Schlosssystem entwickelt, welches er später erfolgreich ins Ausland verkaufen konnte.

Falls Sie eine Verbrecherkarriere planen, würde ich Ihnen raten, kriminelle Handlungen nicht zugedröhnt durchzuführen, sich bei einer solchen nicht zu filmen und DNA-Spuren zu vermeiden.

Tatsächlich hatte ich mal einen Klienten, der Einbrecher war und wegen einer DNA-Spur überführt wurde. Als ich ihn fragte, mit welchen Sicherheitsmassnahmen ich verhindern könne, dass er bei mir einbricht, antwortete er einfach, dass er eigentlich überall reinkomme. Mein Haus sollte einfach besser geschützt sein als das vom Nachbarn.

Was war Ihr schlimmster Fall?

Meine Fälle sind bis auf ein paar Ausnahmen nicht allzu schlimm. Doch wenn ich einen auswählen muss, dann nehme ich diesen: Bei meinem schlimmsten Fall hat mein Klient aus Eifersucht seine Frau erschlagen. Aber solche Fälle habe ich selten, wie gesagt ist ein Grossteil meiner Fälle Drogenkriminalität.

Sind sich Täter*innen psychologisch ähnlich?

Studien haben gezeigt, dass viele Gewaltverbrecher*innen psychische Probleme haben. Ich persönlich glaube, dass grundsätzlich jede*r in Extremsituationen ein Verbrechen begehen kann. Ich hatte bereits einige Fälle, bei denen Klient*innen unter hoher Belastung etwas Unüberlegtes taten.

Jetzt werde ich mit Ihnen meine persönliche Verbrechensstatistik zeigen. Rund 90 Prozent meiner Klient*innen sind junge Männer, das kommt daher, dass ihr Gehirn noch nicht vollständig entwickelt ist. Mit dem Alter nimmt es aber ab; über vierzigjährige Klienten sind fast nur noch Wirtschaftskriminelle