Das «Gymnasium der Zukunft» im Kanton St. Gallen
Im «Gymnasium der Zukunft», der WEGM-Umsetzung im Kanton St. Gallen, gibt es interdisziplinär gestaltete Halbtages-Sequenzen, ein neues Fach und weniger Lektionen in den Grundlagenfächern. Marc Iseli vom Amt für Mittelschulen hat uns erklärt, wie der Kanton St. Gallen die WEGM-Reform umsetzt.
28. August 2025
Der Kanton St. Gallen befindet sich in einem fortgeschrittenen Stadium bei der Umsetzung der nationalen WEGM-Reform (Weiterentwicklung der gymnasialen Maturität). Die wichtigsten Grundlagen sind bereits geschaffen: Die neue Stundentafel wurde von der Regierung verabschiedet, ein Katalog für die Schwerpunktfächer liegt vor und der Lehrplan befindet sich in der finalen Phase. Der erste Jahrgang wird ab dem Schuljahr 2026/27 unter den neuen Bedingungen starten.
Nicht mehr Lektionen und Raum für Neues als Herausforderungen
Eine zentrale Herausforderung in der Reformumsetzung bestand darin, unter Beibehaltung der Lektionenzahl Raum für neue Inhalte und Innovationen zu schaffen. Dabei galt es insbesondere, die Schülerbelastung im Blick zu behalten und auch finanziell auf dem gleichen Niveau zu bleiben. Man war sich einig: Der Gesamtumfang darf nicht ansteigen, das wurde sowohl politisch gewünscht und auch von Schulleitungen, Lehrpersonen und Schülervertretungen unterstützt.

Um dies zu erreichen, mussten Fächer im Grundlagenbereich gekürzt werden. So verlor etwa Deutsch zwei Lektionen (von 16 auf 14), Mathematik wurde um eine Lektion reduziert, ebenso die Naturwissenschaften. Die meisten Fächer verloren eine Lektion, so war es relativ fair aufgeteilt. Fächer wie Informatik, Wirtschaft und Recht sowie bildende Künste blieben unverändert, weil sie teilweise bereits auf der Mindestdotation sind und nicht gekürzt werden konnten. Diese Einschnitte wurden breit abgestützt und stellenweise als schmerzhaft, aber notwendig empfunden. Doch nur so war es möglich, Raum für Neues zu schaffen und auch Innovationen einzubringen.
Interdisziplinarität wird ein einem halbtägigen Kurs gelebt – von 2 Lehrpersonen unterrichtet

Eine zentrale Neuerung ist die Einführung eines interdisziplinären Ergänzungsfachs, das im zweiten und dritten Jahr angeboten wird. Zwei Lehrpersonen aus unterschiedlichen Fächern gestalten gemeinsam themenspezifische Kurse – z. B. Kunst und Spanisch oder Biologie und Sport. Diese Module sind lokal verankert und können je nach Schule stark variieren, es hat also je nach Schule ganz andere Angebote. Der Grund ist, dass so motivierte Lehrpersonen mit eigenen Ideen kommen und so die Interdisziplinarität gestalten, freiwillig und mit vielen Freiheiten. Ziel ist es, sowohl die drei Prozent Interdisziplinaritätsvorgabe zu erfüllen als auch innovative und motivierende Lernformate zu ermöglichen.
Die Umsetzung erfolgt in einem halbtägigen Block mit vier Lektionen pro Woche und zwei Lehrpersonen gleichzeitig, was organisatorisch anspruchsvoll ist. Diese flexible Struktur erlaubt es dafür den Schulen, individuelle Profile zu entwickeln und kreative Kombinationen zu testen. Gleichzeitig wird anerkannt, dass Interdisziplinarität nur dann sinnvoll funktioniert, wenn sie nicht starr verordnet, sondern aus echtem Interesse und sinnvoller Zusammenarbeit entsteht. Dies überzeugte auch eine Mehrheit der Lehrpersonen, da sie so wichtige interdisziplinäre Inhalte unterrichten können und sich einbringen dürfen.
Neues Fach: «Reflektiertes Denken»
Ein weiteres neues Element im Curriculum ist das Fach «Reflektiertes Denken», das alle Schülerinnen und Schüler in der zweiten Klasse besuchen. Die Inhalte orientieren sich an zentralen philosophischen, argumentativen und erkenntnistheoretischen Grundlagen und geben ein gemeinsames Verständnis für wissenschaftliches Arbeiten und Denken. Dabei geht es unter anderem um eine kompetente Verwendung von argumentationstheoretischem Vokabular wie «wahr» oder «falsch», «gültig» oder «ungültig», aber auch um begriffliche Genauigkeit: Schülerinnen und Schüler können sich zum Beispiel im Rahmen einer Fallstudie mit der Frage auseinandersetzen, was «gesund leben» genau bedeutet – oder bedeuten kann.

Das mit einer Jahreswochenlektion dotierte Fach wird als Halbtagesblock einmal wöchentlich über neun Wochen unterrichtet. Es kann von Lehrpersonen aus allen Fachbereichen unterrichtet werden – etwa aus der Mathematik, Biologie oder den Geisteswissenschaften – und setzt eine spezielle Weiterbildung voraus, die derzeit vorbereitet wird und von interessierten Lehrpersonen besucht werden kann. Die erste Umsetzung erfolgt im Schuljahr 2027/28.
Schwerpunktfächer und Wahlmöglichkeiten
Auch im Schwerpunktbereich wurden Neuerungen eingeführt. Ein verbindlicher Grundkatalog mit drei Schwerpunktfächern (Wirtschaft & Recht, Mathematik & Physik sowie Biologie & Chemie) wird an allen Schulen angeboten. Zusätzlich können Schulen aus einem erweiterten Katalog von zehn weiteren Fächern wählen, welche sie zusätzlich anbieten möchten. Dies schafft mehr lokale Freiheiten und erlaubt eine stärkere Individualisierung der gymnasialen Ausbildung.

Das Ziel ist es, Schülerinnen und Schülern mehr Wahlmöglichkeiten entsprechend ihrer Interessen zu bieten, ohne dabei die universitäre Anschlussfähigkeit zu gefährden. Das Gymnasium bleibt damit klar fächerorientiert – was insbesondere mit Blick auf die Erwartungen der Hochschulen als wichtig angesehen wird, da diese ebenfalls fächerorientiert sind.
Die Umsetzung der WEGM-Reform im Kanton St. Gallen zeigt, wie anspruchsvolle Bildungsentwicklung unter Berücksichtigung pädagogischer, organisatorischer und politischer Rahmenbedingungen gelingen kann. Besonders hervorzuheben sind die lokalen Gestaltungsspielräume, die durch interdisziplinäre Ergänzungsfächer und das neue Fach «Reflektiertes Denken», welches von Lehrpersonen aus verschiedenen Fachrichtungen unterrichtet werden kann, entstehen. Gleichzeitig bleibt die Reform realistisch in Bezug auf strukturelle Begrenzungen wie eine bereits hohe Schülerbelastung und personelle und finanzielle Ressourcen.
Kontakt
Amt für Mittelschulen
Marc Iseli
Betriebswirtschaftlicher Mitarbeiter
+41 58 229 22 13
marc.iseli@sg.ch
www.sg.ch/bildung-sport/mittelschule.html