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The Spirit of Uster

Die Kantonsschule Uster ist eine junge Schule mit einer bewegten Geschichte. Sie war lange Zeit auf Wanderschaft, hat ihren Namen mehrmals geändert und musste sich immer wieder neu erfinden. Vor kurzem ist sie sesshaft geworden. Ihr Geist aber bleibt in Bewegung.

30. März 2022

28,48 km2 Fläche, 462 Meter über Meer, 35’337 Einwohner, 2482 Arbeitgeber, über 17'000 Beschäftigte, gut ausgebaute Verkehrswege und eine hohe Lebensqualität: Die Wohnstadt am Wasser, wie sich die drittgrösste Stadt im Kanton selber nennt, hat ihrer Bevölkerung viel zu bieten. Mit der Gründung einer «eigenen» Kantonsschule im Jahr 2013 ist Uster nun auch auf der Landkarte der Bildung zu finden. Umso mehr, seit 2019 das Bildungszentrum Uster eröffnet wurde, das Kantonsschule, Berufsfachschule und Fachhochschule an einem Ort zusammenführt. Der gemeinsame Standort ermöglicht die gemeinschaftliche Nutzung von Mensa, Mediathek, Sporthallen und Aula – und setzt ein starkes Zeichen für die Bildung.

Andere Herkunft, gleiche Ziele

Es gibt Schulen, die hochherrschaftlich geboren werden und ein Leben in Eintracht und Harmonie führen. Ihre Besitztümer stehen auf Bergen voller Freuden und Rychen, oder dann ist es der Zürichberg, an dessen Hängen sich die geistigen Eliten drängen. Sie gehören seit Jahrzehnten zum Inventar der Zürcher Bildungslandschaft, und niemand käme auf die Idee, die Bedeutung dieser Gymnasien in Frage zu stellen.
 
Es gibt aber auch Schulen, die es in ihrem Leben alles andere als einfach hatten. Die klein und bescheiden begannen und einen langen, steinigen Weg gehen mussten. Heimatlos waren sie und standen ohne Hab und Gut da. Doch die Notwendigkeit trieb sie an. Je mehr Schüler*innen es gab, desto mehr Schulen brauchte es. So lautete die Formel früher – und daran hat sich bis heute nichts geändert.
 
Die Geschichte der Kanti Uster ist ein Paradebeispiel für eine Schule, die gleichsam aus dem Nichts auftauchte und nach langen Irrungen und Wirrungen zu einer eigenen Identität fand. Diese Identität ist stark geprägt vom ständigen Hin und Her in der Pionierzeit und der fast permanenten Ungewissheit, wie es weitergehen soll. Wer solche Zeiten unbeschadet übersteht, wächst zusammen. Zu einer starken Einheit, die gemeinsamen Werten und Zielen verpflichtet ist.

Der lange Weg durch die Institutionen

Ihre Ursprünge reichen zurück ins Jahr 1958 zurück, als in Oerlikon eine Filialabteilung des damaligen Unterseminars Küsnacht eröffnet wurde. Ganze sechzehn Jahre war sie in städtischen Schulräumen untergebracht, bis die Stadt Zürich Eigenbedarf anmeldete. Also klopfte sie in Dübendorf an und fand dort eine neue Bleibe. Sie hiess jetzt offiziell Filialabteilung Glattal und war der neu gegründeten Kantonsschule Zürcher Oberland in Wetzikon unterstellt.
 
Am Standort Dübendorf erlebte die Schule eine erste Blütezeit. Das Bildungsangebot wurde erweitert, die Infrastruktur ausgebaut, und die Zahl der Schüler*innen stieg bis Anfang der achtziger Jahre auf 240. Aus der ehemaligen Kleinstschule war eine kleine bis mittlere Schule mit eigenständigem Charakter geworden. 1992 besuchten bereits 290 Schülerinnen und Schüler die sogenannte Filialabteilung, und weder war ein Ende dieser Entwicklung abzusehen, noch wurde die Namensgebung der Bedeutung der Schule gerecht.

Die Reise geht weiter

Im Jahr 2006 wurde die Schule endlich eigenständig und hiess neu Kantonsschule Glattal. Angekommen aber war sie noch lange nicht. Aufgrund der prekären Platzverhältnisse in Dübendorf hatte der Regierungsrat nämlich entschieden, die Kanti nach Uster zu verlagern. Da dies nicht von einem Tag auf den anderen möglich war, begann für die Schule ein jahrelanges Hin und Her zwischen zwei Standorten. Dies war nicht nur für die Verantwortlichen des Stundenplans eine echte Herausforderung. Klar war, dass die Schüler*innen pro Tag nur an einem Standort Unterricht haben sollten, doch für die Lehrpersonen war eine solche Lösung nicht hinzukriegen. Für sie begann die Zeit des Pendelns.
 
So wurde die Schule zu einer Art Hybride, die noch mit einem Bein in Dübendorf und dem anderen schon in Uster stand. Da sich die Realisation des Neubauprojekts immer mehr in die Länge zog, war ein Ende dieses Zustands nicht abzusehen. Das Provisorium wurde zum «Providurium», die Zahl der Schüler*innen stieg bis 2011 auf 400, die Schule platzte aus allen Nähten. Und just in diesem Moment flatterte der blaue Brief aus Dübendorf ins Haus: Kündigung der Schulräume wegen Eigenbedarfs der Primarschule.

Endlich wieder vereint

Dieser unhaltbare Zustand setzte den Kanton unter Zugzwang. Denn jetzt musste er sich umgehend etwas einfallen lassen, um den Schulbetrieb bis zur Fertigstellung des Neubaus überhaupt aufrecht erhalten zu können. Und siehe da: Mit wohlwollender Unterstützung der Stadtverwaltungen und lokalen Politiker*innen wurde eine Übergangslösung realisiert, die den vollständigen Umzug nach Uster ermöglichte und die Schule endlich wieder an einem Standort zusammenführte. Im April 2013 fand die Einweihung des Parkschulcampus an der Krämerackerstrasse statt – das neue Zuhause einer Schule, die sich fortan ganz offiziell Kantonsschule Uster nennen durfte.
 
Im Mai 2019 schliesslich zog das Bildungszentrum Uster auf dem Campus ein. Der markante Neubau vereint drei Schulen unter einem Dach und bietet die Chance für ein Zusammenspiel zwischen gymnasialer Bildung, beruflicher Bildung und höherer Berufsbildung. Die Kanti Uster scheint ihren Platz gefunden zu haben – zumindest vorübergehend. Denn mit einer so langen, bewegten Geschichte im Gepäck ist davon auszugehen, dass es Stillstand niemals geben wird.

Wenig Platz, viel Offenheit

«Bei Licht betrachtet beruht unsere Schule auf einem Irrtum», sagt Rektor Patrick Ehrismann. «Ursprünglich war sie geplant für 450 Schüler*innen, in Anbetracht der rasanten demographischen Entwicklung werden es aber schon bald 1250 sein.» Der nächste Engpass ist also vorprogrammiert. Wie geht die Schule damit um? Mit einer ganzen Reihe von Massnahmen, die das Beste aus der beengten Situation machen und zu einer positiven Schulkultur beitragen. Die Kantonsschule Uster versteht sich nicht nur als ein Ort des Lernens. Sie will auch inspirieren, Denkräume schaffen und mit einem breit gefächerten Angebot zur Entfaltung ihrer Schüler*innen beitragen.

Prorektorin Karin Hardegger bringt den Spirit von Uster auf den Punkt: «Bei uns in Uster ist niemand eine Nummer, sondern ein Individuum – ganz gleich, ob Schüler, Schülerin, Lehrperson, Schulleitung oder Hausdienst. Klingt einfach, ist in der Praxis aber ganz schön anspruchsvoll. Denn das unaufhaltsame Wachstum der Schule zwingt uns, die Lage immer wieder neu zu beurteilen, ohne dabei den Menschen aus den Augen zu verlieren.»

So erstaunt es nicht, dass der familiäre Geist von früher auch heute noch über der Schule schwebt. «Wir fühlen uns sehr wohl hier», sagen die angehenden Maturandinnen Sarah Adey und Kirsten Sennett wie aus einem Mund. «Unser Uster-Gymi ist etwas ganz Besonderes. Hier herrscht ein echtes Miteinander, und wenn wir ein Anliegen haben, können wir es jederzeit vorbringen. So haben wir uns zum Beispiel dafür eingesetzt, dass ein Klassenlager, das Corona zum Opfer fiel, nachgeholt wird. Gemeinsam mit der Schulleitung haben wir dann ein Konzept ausgearbeitet und sind tatsächlich losgezogen. Dieses Erlebnis hat unsere Klasse mehr als alles andere zusammengeschweisst.»

Überhaupt: Die Menschen an der Kanti Uster sind sehr eng miteinander. Wenn jemand Hilfe benötigt, bleibt er nicht lange allein. «Für solche Fälle stehen uns verschiedene Angebote zur Verfügung», sagt Prorektor Harry Pierhöfer. «Ein gutes Beispiel sind die Special Events, in denen ältere Schüler*innen ihre Erfahrungen an jüngere weitergeben und ihnen helfen, sich in der Schule besser zurechtzufinden. Für den Wissenstranfer gibt es das Nachhilfeportal, und selbstverständlich bieten wir bei Bedarf auch psychologische Hilfe an.» 

Trotz schwieriger Umstände sieht Patrick Ehrismann seine Schule auf Kurs. «Was uns auszeichnet, ist die Art und Weise, wie wir mit Veränderung umgehen. Ständig schneiden wir alte Zöpfe ab, weil heute nicht mehr möglich ist, was früher funktioniert hat. Der stete Wandel erfordert gerade von unseren Lehrpersonen viel Offenheit und Flexibilität. Unseren Schüler*innen scheint dies viel leichter zu fallen.»

Es kann schon mal vorkommen, dass einem auf der Velorampe der Smart eines verirrten Lehrers entgegenkommt. Oder dass eine Lehrerin durchs Fenster einsteigt, weil sie sich mit dem Schliesssystem nicht auskennt. Aber im Allgemeinen klappt das gut mit der Orientierung. Muss es auch, denn der Fortschritt geht immer weiter – gerade im digitalen Bereich mit BYOD und einer professionellen, voll ausgerüsteten Medienwerkstatt. Patrick Ehrismann meint dazu: «Wir haben den Anspruch, digital voraus zu sein. Gleichzeitig bieten wir aber auch ein analoges Fotostudio und eine Holz- und Metallwerkstatt an. Diese beiden Welten müssen einfach Platz nebeneinander haben.» Hier die Rückbesinnung auf traditionelle Werte, dort der Aufbruch in neue Dimensionen: So läuft das an der Kanti Uster.