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Aus der Praxis. Für die Praxis.

Der Übertritt von der Volksschule in die Mittelschule ist für jede Schülerin und jeden Schüler ein wichtiger Markstein. Das Projekt VSGYM setzt sich für faire Bedingungen beim Übergang ins Gymi ein. Der Dialog zwischen den Stufen trägt Früchte: zum Beispiel in Form von neuen, unterstützenden Lehrmitteln.

28. Juli 2021

Eine faire Chance für alle Schüler*innen beim Übertritt an die Mittelschulen: Dieses Motto hat sich das Projekt VSGYM (Schnittstelle Volksschule-Gymnasium) auf die Fahne geschrieben. Lanciert wurde es 2015 – mit dem Ziel, die Schnittstellen zwischen den Schulstufen genau anzuschauen, Schwierigkeiten anzugehen und das gegenseitige Vertrauen zu stärken.

Dialog an der Schnittstelle

Das Projekt VSGYM steht in der Tradition von HSGYM und ist sozusagen sein kleiner Bruder. Während sich HSGYM mit dem Übertritt von der Mittelschule an die Hochschulen befasst, sucht VSGYM nach konkreten Lösungen an der Schnittstelle mit der Volksschule: Wie wollen wir den Übertritt regeln? Wie können wir die Lehrpläne aufeinander abstimmen? Dies geht nur, wenn sich beide Seiten auf Augenhöhe begegnen und im Dialog den Konsens suchen.

Ein Resultat der Arbeit von VSGYM ist ein neues Algebra-Training des Zürcher Lehrmittelverlags. Dieses bietet den Schüler*innen der Sekundarschulen die Möglichkeit, nach bestandener Aufnahmeprüfung an die Mittelschule im Mathematikunterricht erlernte Fähigkeiten vor dem Eintritt ins Gymnasium zu aktivieren und wichtige Basistechniken zu vertiefen. «Wir sehen das Algebra-Training als Brückenangebot. Es ergänzt die Lehrmittel der Sekundarstufe und trägt dazu bei, dass wir bei Wissensdefiziten, die beim Übertritt auftauchen, eine praktische Hilfe anbieten können.»

Antonia Lüthy Haerter ist Prorektorin an der Kantonsschule Zürich Nord und leitet den VSGYM zusammen mit Christian Sommer, Rektor an der Kantonsschule Rychenberg. Im Gespräch betont sie, wie gut die Dialogplattform funktioniert und wie positiv sie den Meinungsaustausch zwischen den Schulstufen erlebt. «Letztlich wollen wir ja alle dasselbe: einen möglichst reibungslosen Übergang von der einen zur anderen Stufe. Wenn die Schüler*innen diesen nicht als Bruch erleben, sondern als Chance verstehen, haben wir viel erreicht», sagt sie. «Es stimmt mich sehr zuversichtlich, dass bei unserem Dialog keine Partikularinteressen im Vordergrund stehen, sondern das grosse Ganze.»

Gut organisiert ist halb gewonnen

VSGYM ist ein Projekt von Praktikerinnen für Praktiker. Diese haben die Aufgabe, Probleme an der Basis wahrzunehmen, die Gründe dafür zu analysieren und gemeinsam unbürokratische Lösungen anzuregen. 2017 hat VSGYM erste Analysen und Vorschläge für Massnahmen in den Fächern Deutsch, Französisch, Englisch, Mathematik, Geografie, Geschichte und Natur & Technik/Naturwissenschaften präsentiert. Diese basieren auf einem Arbeitsprozess mit drei Phasen:

  • In Phase 1 setzen sich Lehrpersonen beider Stufen im Rahmen eines Fachdialogs mit Schnittstellenthemen in ihrem Fach auseinander. Dabei vergleichen sie Lehrpläne, Lehrmittel und andere schulspezifische Eigenschaften und schlagen Massnahmen zur Optimierung des Übergangs vor.
  • In Phase 2 diskutieren interessierte Lehrpersonen die Ergebnisse der Fachgruppen im Rahmen eines Regionaldialogs. Ziel dieses Schritts ist es, Schulen derselben Region an einen Tisch zu bringen, damit sie gemeinsam über konkrete Massnahmen nachdenken können.
  • In Phase 3 verarbeiten die Fachgruppen das Feedback aus dem Regionaldialog. Dieser Loop stellt sicher, dass die Ergebnisse jeweils breit abgestützt sind.

Die Studie 2017 hat gezeigt, dass der Anschluss insgesamt gut funktioniert. «Die Lehrpersonen beider Stufen sind in hohem Masse gewillt, Verantwortung für den Übergang zu übernehmen. Die Aufgabe ist gross», sagt Antonia Lüthy Haerter, «aber es gibt ein gemeinsames Verständnis für die Phase vor und nach dem Übertritt.»

Koordination von Gymnasium 2022 mit Lehrplan 21

Auf Beginn des Schuljahrs 2020/21 kamen erstmals Schüler*innen ans Gymnasium, die an der Volksschule Erfahrungen mit dem Lehrplan 21 sammelten. Sie hatten anderes Wissen im Gepäck und mussten an einem anderen Ort abgeholt werden. «Wichtig war in dieser Phase, diesen Schüler*innen eine faire Chance zu bieten», sagt Lüthy Haerter. «Dazu gehörte auch, dass wir die Veränderung thematisierten und unsere Lehrpersonen für die Eigenheiten, Ziele und Arbeitsweisen des Lehrplans 21 sensibilisierten.» So fand im Mai 2019 beispielsweise eine grosse Weiterbildungsveranstaltung statt, weitere Anlässe gab es dezentral in den Regionen.

Die besondere Herausforderung steht aber noch bevor, und zwar in Form des Projekts «Gymnasium 2022», das die Zürcher Gymnasien auf die Zukunft vorbereitet. Im Rahmen des Projekts sollen die Gymnasien ihren Unterricht auf der Unterstufe auf den Lehrplan 21 abstimmen, den MINT-Bereich stärken und neue Fächer einführen. Wen wundert’s, dass die Herausforderungen an der Schnittstelle auch hier eine zentrale Rolle spielen: «Unser Augenmerk liegt in erster Linie auf dem Übertritt ins Kurzgymnasium», sagt Lüthy Haerter, «hier engagieren wir uns dafür, die Lehrpläne und Stundentafeln von Untergymnasium und Sekundarschule möglichst so aufeinander abzustimmen, dass die Schüler*innen beider Stufen im Kurzgymi eine faire Chance erhalten.»

Die Rahmenvorgaben zu «Gymnasium 2022» liegen bereits vor. Vernehmlassung und Beschluss des neuen Unterrichtsreglements durch den Bildungsrat fanden letztes Jahr statt. Die Arbeiten an den Schulen an Stundentafeln, Lehrplänen und Fachschaftsrichtlinien sind in vollem Gange und sollten bis Ende 2022 abgeschlossen sein. Danach ist ab 2023 die Umsetzung an den Schulen geplant.

Feine Abstimmung, faire Chance

Volksschule und Gymnasium sind zwei unabhängige Player im Bildungswesen, und daran wird sich auch in Zukunft wenig ändern. Sie haben nur am Rand miteinander zu tun – aber dieser Rand ist wichtig, wenn der Übertritt von der einen zur anderen Stufe gelingen soll. «Je feiner die Abstimmung, desto fairer die Chance», sagt Antonia Lüthy Haerter, «gerade in der Mathematik. Da gibt es Operationen, die in der Sek wohl behandelt, aber viel weniger trainiert werden als im Gymnasium. Hier leistet das erwähnte Algebra-Training wertvolle Unterstützung.

Ähnliche Fragen der Abstimmung stellen sich auch an der Schnittstelle von Primarschule ins Langgymnasium. Dazu führt Christian Sommer, der im Rahmen von VSGYM für diesen Bereich zuständig ist, am 6. Oktober einen kantonalen Weiterbildungstag durch. «Bei diesem Übergang geht es weniger um den Schulstoff selbst, als vielmehr um faire Bedingungen für alle», sagt Lüthy Haerter. «Ich denke da beispielsweise an die Migrationsproblematik oder die Chancengleichheit für Schüler*innen aus bildungsfernen Familien. Wir vom VSGYM wollen sicherstellen, dass auch diese jungen Menschen eine Chance erhalten und ihr Potenzial voll ausschöpfen können.»

Klar ist, dass der Übertritt von der Volksschule ins Gymnasium auch in Zukunft für Gesprächsstoff sorgen wird. An der Schnittstelle kommen zwei Kulturen zusammen, die andere Schwerpunkte setzen und unterschiedliche Ziele haben. Und doch haben beide Seiten erkannt, wie wichtig eine konstruktive Zusammenarbeit ist. «Die Bereitschaft, gemeinsam nach konstruktiven Lösungen zu suchen, ist gross», betont Lüthy Haerter, «wir begegnen uns wirklich auf Augenhöhe und verfolgen dasselbe Ziel: die Bedingungen für alle Schüler*innen zu verbessern.»

Dafür ist VSGYM da. Das Projekt verfolgt hohe Ziele und geht Schritt für Schritt seinen Weg. Viele neue Projekte sind angedacht, andere laufen bereits. Hier gibt es Vorstösse, da ein Angebot, dort ein neues Lehrmittel. Sie alle sind Puzzlesteine in einem Bild, das sich bei genauerem Hinschauen als gut begehbarer Weg zwischen Volksschule und Gymnasium herausstellt.

VSGYM

VSGYM steht für einen fairen Übertritt aus der Volksschule an die Mittelschulen des Kantons Zürich.
Mehr Informationen gibt es auf der Website von VSGYM.