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Ein Buch als Maturitätsarbeit: Celia Kulls «Die silberne Klinke»

Celia Kull hatte grosse Pläne für ihre Maturitätsarbeit: Sie wollte einen Roman schreiben. Und gleichzeitig war es ihr Anspruch, etwas zu schaffen, das auch anderen nützt. Spoiler-Alert: Es ist ihr gelungen, beide Ziele zu erreichen.

21. Juni 2023

«Ich will einen Roman schreiben!»

Mit diesem Wunsch – oder vielmehr Plan – startete Celia Kull ihre Maturitätsarbeit. Ihr war klar, dass sie viel Zeit in diese Arbeit stecken würde und deshalb sollte das Ergebnis nach der Benotung nicht in einer Schublade verschwinden. Die junge Frau wollte etwas schaffen, was Bestand hat und von dem andere profitieren. Sie wollte aufklären, inspirieren und informieren.

Und genau das tat sie. Sie schrieb einen Roman, der sich an Jugendliche richtet und Aufklärungsarbeit zum Thema sexuelle Identität leistet. Nicht belehrend, denn dazu fühle sie sich nicht in der Position, sondern inspirierend und dazu anregend, sich selber Gedanken zum Thema zu machen.

Eine junge Frau erkennt und verändert sich

Doch seit ich dieses Video gesehen habe, geht mir eine Stelle nicht mehr aus dem Kopf: Dass Frauen darauf trainiert werden, Männern zu gefallen. Werden wir etwa auch darauf trainiert, uns für Männer zu bewegen? Ziehe ich mich jeden Morgen für mich an, oder nur dafür, wie Männer mich sehen werden? Und jetzt verstehe ich auch meine Wut.

Jolene, die 17-jährige Protagonistin in Celia Kulls Buch, recherchiert. Sie will wissen, wie Beziehungen zwischen den Geschlechtern funktionieren und was die gleichgeschlechtliche Liebe ausmacht. Dabei erkennt sie, wie sehr sie sich als heranwachsende Frau den Erwartungen des Freundeskreises und der Gesellschaft unterwirft.

Weil das Leben für Frauen darauf ausgelegt ist zu gefallen. Und das Schlimmste ist, ich kann ihnen nicht einmal einen Vorwurf dafür machen, denn ich habe es ja selbst fast nicht verstanden. Ich habe selbst 17 Jahre und ein Mädchen gebraucht, um es zu verstehen.

Jolene beginnt, das Bestehende zu hinterfragen, lässt bisher unbekannte Gefühle zu und begibt sich auf einen Weg, der alles verändert.

In dem Moment realisiere ich: Dieses neue Leben bedeutet nicht nur Arbeit, sondern es braucht auch sehr viel Mut.

Fiktion und wahre Begebenheiten verknüpft

Auch bei Celia Kull steht am Anfang die Recherche. Diese führt sie ins Internet, in die Literatur, vor allem aber in Gespräche mit verschiedenen Menschen. Mit acht Personen zwischen 15 und 30 Jahren spricht sie über sexuelle Orientierung und Beziehungen, fragt nach Erfahrungen und Erlebnissen.

Nach den Gesprächen erarbeitet die Maturandin den Plot ihrer Geschichte und entwickelt die Charaktere. Bei der Namensgebung überlässt sie nichts dem Zufall und gibt den Charakteren Namen, die viel über sie aussagen. So heisst der Bruder der Protagonistin Alain, was für «Felsen» steht. Er erweist sich im Laufe der Geschichte als Fels in der Brandung. Die Personen und der Plot sind fiktiv, vieles jedoch ist inspiriert davon, was Celia in den Gesprächen erfahren hat. Erlebnisse, Wissen, Details.

Bei der Entwicklung des Plots und beim Schreiben sucht sich Celia Kull Hilfe. Sie findet sie bei einer Autorin und einer Bibliothekarin. Die beiden Frauen stehen ihr als Mentorinnen zur Seite.

Das Buch

Das rund 100-seitige Buch «Die silberne Klinke» wurde als Maturitätsarbeit im Schuljahr 2022/2023 im Fach Deutsch verfasst.

Celia Kull hat es in einer kleinen Auflage drucken lassen. Diese ist bereits vergriffen.

Aktuell überarbeitet die Autorin das Buch.

Eine grosse Herausforderung: die Überarbeitung des Textes

Der Schreibprozess geht flott voran, Celia Kulls zeitliche Planung geht auf und die Kreativität des Schreibens macht ihr Spass. Sie geniesst das Spiel mit den Worten und der Sprache und nutzt ihr sprachliches Wissen, um dem Roman Gehalt und Tiefe zu geben. Mit der Protagonistin zusammen entwickelt sich auch deren Sprache und Wortschatz, sie werden vielseitiger, tiefgründiger, erwachsener. Ein stilistischer Kniff, den die junge Autorin sehr gezielt und bewusst einsetzt.

Mit ihrer anfänglichen Vermutung lag Celia Kull richtig: Sie hat viel Zeit aufgewendet für ihre Maturarbeit, mehr als vorgesehen wäre für eine derartige Arbeit. Unterschätzt habe sie das Überarbeiten des rund 100-seitigen Buches. Während des Schreibens habe sie einfach drauflosgeschrieben, ein unfertiger Entwurf entstand, den sie dann überarbeiten musste. «Ich habe so viele Kommafehler gemacht!», blickt sie ungläubig zurück. 

Die Kreativität und das Ergebnis entschädigen für alles

Der Roman erzählt vom Selbst- und Fremdbild von Jugendlichen, von Sexualität und sexueller Identität, vom Frausein und Frauwerden, von Sexismus und Freundschaft. Es ist ein Buch, das Celia Kulls Anspruch gerecht wird: Ein Roman, der sich locker und leicht liest und gleichzeitig anregt, sich Gedanken zu machen und eigene Bilder im Kopf zu hinterfragen.

Celia Kull ist stolz auf sich und ihre Arbeit und sie hat durch ihre Maturitätsarbeit viel gelernt. Über die Macht der Worte, über das Schreiben, aber auch über sich. Den angefangenen Weg als Autorin möchte sie gerne weiterverfolgen. In welcher Form, das ist noch unklar. Vielleicht studiert sie Literaturwissenschaft, vielleicht macht sie einen Schreibkurs. Klar ist: Schreiben wird auch in Zukunft zu Celia Kulls Leben gehören.

Maturitätsarbeiten

Jährlich werden im Kanton Zürich zwischen 2500 und 3000 Maturitätsarbeiten verfasst. Die Themen und Formate sind äusserst vielseitig. Jedes Jahr im Mai werden rund 50 ausgezeichnete Arbeiten ausgestellt. Diese sind hier zu finden: maturiaetsarbeiten.ch.

Auf «Die Zürcher Mittelschulen» stellen wir regelmässig einzelne Arbeiten vor, zum Beispiel diese hier: