Corona-Alltag: Klassentagebuch der Klasse 2c des MNG Rämibühl

März 2020 – und plötzlich hielt die Welt inne. Läden wurden geschlossen, Länder machten ihre Grenzen dicht und der Schulunterricht fand vor dem Computermonitor statt. Für die Schüler*innen der Klasse 2c des MNG Rämibühl folgten spannende, aber auch schwierige Monate. Ihre Erfahrungen haben sie in einem gemeinsamen Tagebuch und in Bildern verewigt.

7. August 2020

 

15.4.2020, Ellicia

Also ich habe heute meine Bänder gerissen und muss jetzt für die nächsten Wochen mit Krücken herumlaufen. Ich muss mir auch jeden Tag eine Thrombosespritze geben, bis ich meinen Fuss wieder benutzen kann. Ich meine, es ist ziemlich praktisch, dass dies jetzt während der Quarantäne passiert ist, weil ich sowieso in meinem Zimmer herumgelegen wäre. 

 

16.04.2020, Yannick

Wir haben abgemacht, dass wir uns jeden Morgen um 11.30 Uhr beim Bootssteg treffen, um im Zürichsee schwimmen zu gehen. Heute jedoch, als ich in meine Joggingschuhe schlüpfe, um nach unten zu gehen, spüre ich, dass sich darin ein Schokoladen-Ei befindet. Zu spät, ich habe es schon zerquetscht. Mit ein wenig Verspätung komme ich jedoch unten an und wir gehen schwimmen. Danach gibt es Lunch bei mir zu Hause und anschliessend spielen meine Geschwister und ich eine Runde Pingpong. Den Rest des Tages verbringe ich am PC und mit Büchern. Ich habe mir aus Langeweile eine Leinwand und Ton gekauft. Ich bin bis jetzt jedoch noch nicht zum Malen und Töpfern gekommen. Nach dem Nachtessen mit der ganzen Familie treffe ich mich mit zwei guten Freunden, dieselben, die auch beim Morgenschwimmen dabei gewesen sind, und wir gehen alle zusammen im Wald und auf der Zolliker-Laufbahn rennen. Danach gibt es eine warme Dusche und ich schaue anschliessend einen Film mit meinem Bruder. Das Ganze fängt morgen von Neuem an. 

 

17.04.2020, Molly

Ich finde es nett, dass die Sonne für mich scheint. Nicht so, als wäre ich die Einzige auf dem Planeten (obwohl das nicht schlecht wäre). Die Strassen sind menschenleer und doch sind meine Gedanken erfüllt von nichts anderem. Es ist schwer zu sagen, ob alle wirklich so nervig sind oder ob ich einfach nicht mehr mag. Ich schlafe mehr, als wenn ich ganz normal Schule hätte, und trotzdem bin ich müde. 

21.4.2020, Fares

Es ist nun schon eine ganze Weile vergangen, seitdem ich hier festsitze. Um nicht in ein düsteres Loch der Langeweile zu fallen, versuche ich mich jeden Tag, so gut es mir gelingt, zu beschäftigen. Heute war einer der Tage, an denen ich zurückschaue und feststelle: Es war ein ganz normaler Tag. Ein Teil des gewohnten, aber relativ neuen Alltags. Ich stand wie heutzutage üblich nur kurz vor meiner ersten Schulstunde auf, etwa um 8.30 Uhr. So hatte ich vor der Mathelektion noch zehn Minuten Zeit; genug Zeit, um Zähne zu putzen und mir einen Kaffee zu machen. Den Nachmittag hatte ich im Grunde frei, nur eine einzige Lektion stand an. Zu Mittag gibt’s mittlerweile was auch immer mein Vater gekocht hat oder «gemacht» hat, sollte ich besser sagen, denn mein Vater kann nicht kochen. Heute gab’s Nudelauflauf. Nachmittags beschäftigte ich mich mit meinem Bruder. Er hatte nämlich auch keine Schule. Ein paar Runden Pingpong, dann wieder Fifa spielen, dann wieder Pingpong. Nachdem ich endlich genug hatte, ging ich in den Wald. Der Wald ist zu dieser Zeit mein einziger Einblick in die Natur; mit dem Fahrrad und Musik brauche ich mich nicht zu beklagen. Gegen Abend schaute ich zum ersten Mal geplant Netflix. Sonst schaue ich immer zwischendurch eine halbe Serie oder so. Abendessen wurde zu meinem Glück von meiner Mutter zubereitet. Oft, aber nicht immer, gibt’s etwas Arabisches. Beendet wird der Tag wieder mit Netflix oder was es auf Youtube zu schauen gibt. 

 

22.04.2020, Aman

Der 40. Tag der Quarantäne, der 22. April 2020, war ein bisschen weniger stressig als üblich, aber immer noch langweilig und unaushaltbar. Ich fühlte mich heute sehr lustlos. Mir kam aber etwas in den Sinn. Ein Spaziergang am Bellevue und den See entlang. Ich schaute aus dem Fenster hinaus, ausser dem schönen Wetter war die Abwesenheit der Menschen auf der Strasse sehr auffällig. Ich zog meine Jeans und ein weiches sommerliches T-Shirt an, nahm den Zug S3 Richtung Hardbrücke. Der Zug war fast leer und ich sah keinen Ticketkontrolleur. Ich stieg am Stadelhofen aus, näherte mich dem See und hatte Angst vom Coronavirus infiziert zu werden. Es war alles irgendwie neu, sodass es mir schien, als würde ich diesen Ort zum ersten Mal in meinem Leben wirklich sehen. Ausser Coop, Migros und Apotheken waren alle Läden geschlossen. Am Bellevue liefen ein paar Menschen hin und her. Ich bewegte mich Richtung Chinawiese und sah ein paar Menschen, die mit genügend Abstand zueinander auf Bänken sassen. Sie genossen gerade die Sonne wie ich.

 

25.04.2020, Tanish

Nach fast einem Monat Homeschooling, worüber ich gemischte Gefühle habe, sind schon Ferien. Sie sind jedoch kaum spürbar, da wir sowieso alle zuhause verharren und faulenzen. Die Zahl der Erkrankten steigt, die Angst potenziert sich, die Hoffnung, zum normalen Alltag zurückzukehren schwindet. Als ich am Morgen aufwachte, wurde ich von vielen lächelnden Gesichtern begrüsst. Fast den ganzen Morgen verbrachte ich mit Familie und Freunden redend. Inzwischen ist schon Tag 43 seit der Verschanzung. Meine Freizeit verbringe ich mit Youtube, Anime, Spaziergängen vom Keller wieder hoch ins Schlafzimmer und kleinen Reisen zum Supermarkt. Vor den Ferien hatte ich mich für einen temporären Job registriert. Nun erfolgt dieser in der jetzigen Lage via Word auf meinem Desktop. Ich habe berechnet, dass meine Bildschirmzeit in Quarantäne um dreissig Prozent gestiegen war, was mich ein kleines bisschen erstaunt. Ich beschloss deshalb, eine kleine Wanderung im Küsnachter Tobel zu machen. Schliesslich liegt es nur wenige Minuten von mir zuhause entfernt. Die frische Luft entspannte mich, ebenso wie die Ruhe und der Strom des Wassers. Die engen Brücken und die Miniatur-Wasserfälle hatte ich fast vergessen; viele humoristische Erinnerungen tauchten auf, zum Beispiel der Orientierungslauf oder das Plumpsen ins Wasser. Doch die vielen Mücken waren damit beschäftigt, diesen Moment zu zerstören, weshalb ich nach Hause zurückkehrte.

15.05.2020, Daniel

Fleischbällchen von Ikea: Saftig, zart und fleischig. Monate waren vergangen, seitdem ich dieses wundervolle Gericht gekostet hatte. Ich fing schon an, davon zu träumen. So begab ich mich mit knurrendem Bauch auf die harte Reise. Das Frühstück hatte ich extra ausgelassen, um ein besseres Erlebnis zu kriegen, denn ich konnte es kaum erwarten. Dunkelblauer Blechcontainer, Ikea. Den leeren Magen schien ich fast nicht mehr auszuhalten, doch die Sicht vom Lagerhaus liess allen Schmerz verschwinden. Zum Glück gab es noch etliche Möbel auf dem Weg zum Restaurant zu besichtigen, die mich weiterhin vom knurrenden Magen ablenken konnten. Beim ersten Blick in das Restaurant fiel mir etwas Komisches auf: Weisse Vorhänge bedeckten den Eingang. Ich wollte meinen Augen nicht trauen. Aufgrund der jetzigen Situation liess man das Restaurant schliessen. Ich war komplett am Boden zerstört, mein Traum war geplatzt. Ich hatte keine andere Wahl als mit gebrochenem Herzen zum Coop zu gehen.

 

16.05.2020, Dominik

Nun dauert die Quarantäne schon so lange, dass ich aufgehört habe, die Tage zu zählen. Mittlerweile darf ich mich wieder mit Freunden treffen, was die ganze Situation erleichtert. Heute Morgen hatten wir die Idee, mit dem Velo einmal um den Zürichsee zu fahren. Kurze Zeit später trafen wir uns und radelten los. Wir fuhren und fuhren und legten alle dreissig Minuten eine kurze Trinkpause ein, bis wir um die Mittagszeit Rapperswil erreichten und dort etwas Kleines assen. Wir fanden an der Seepromenade ein aufgebautes Schachspiel, welches wir unbedingt ausprobieren mussten. Im ersten Spiel spielte ich gegen meinen Kollegen Henry und verlor die Partie ziemlich schnell. In Richterswil legten wir wieder einen Stopp ein, um einen kurzen Sprung ins Wasser zu wagen, das ziemlich kalt war. Die Rückfahrt nach Zürich brauchte so viel Energie, dass wir uns zuhause alle sofort ins weiche Bett warfen und so den Tag ausklingen liessen.

 

19.05.2020, Sahaana

Heute ist der Geburtstag von meiner besten Kollegin. Sie wünschte sich schon lange eine Überraschungsparty. Wir hatten Schwierigkeiten, diese zu planen, weil der Virus uns noch nicht verlassen will. Trotz den Problemen konnten wir einen gemütlichen Platz finden und sie erfolgreich überraschen. Alle hatten etwas zum Essen dabei und natürlich gab es auch Kuchen. Zu viert besorgten wir ihr einen Ring als Geschenk. Überhaupt einen Ring (und das noch online) zu finden, der uns allen gefiel, war sehr anstrengend. Der Tag selber war sehr schön. Es war ein sehr gutes Gefühl, sie wiedersehen zu können. 

 

21.05.2020, Pascal

Es isch faszinierend. Plötzlich fangt me a Sache z schätze, wo me früener nie gschätzt hed. Gester han ich sit langem wieder mal es paar Kollege gseh und ich han förmlich s Dopamin i mine Adere gspürt. Langsam juckt d Quarantäne immer weniger Lüt. Gester isch en Polizist zu üs cho, will mir z wenig Abstand ghalte hend. Sobald er weg gsi isch, hed sich niemert meh drum kümmeret. Ich han sogar s Gfühl, dass meh Lüt dusse sind als bim ene «normale» Früelig. Es isch lustig, plötzlich fanged Lüt a Sport mache, wo vorde Qurantäne sit Jahre kei Sport meh gmacht hend. De Mensch will halt immer das mache, was er nöd döf oder chan.

 

21.05.2020, Calvin

Zum Glück hatten wir heute wegen Auffahrt frei. Deshalb konnte ich ausschlafen und musste mich mal nicht um die Schule kümmern. In der letzten Zeit hatte ich immer weniger Lust auf die Schule, fand es mühsam, dauernd vor dem PC zu sitzen und dem Lehrer zuzuhören. Also war das verlängerte Wochenende eine willkommene Abwechslung. Ich konnte heute noch das schöne Wetter geniessen und war mit Freunden und meinem Bruder Velofahren. Auch wenn es noch nicht sehr heiss ist, war das Hochfahren sehr anstrengend, aber umso besser war das Herunterfahren. Ich war erstaunt und etwas erschrocken, dass der ganze Wald voller Leute war. Man konnte keinen Meter weit fahren, ohne jemandem zu begegnen. Heute war auch nicht das erste Mal, dass wir von eher älteren Personen gemahnt wurden, dass wir die Zwei-Meter-Regel nicht einhalten würden. Nach der anstrengenden Fahrt entspannte ich mich im Garten und schaute Serien. Da mein Bruder mit der Rekrutenschule fertig ist, kochten wir gemeinsam das Mittagessen. 

 

22.05.2020, Livio

Es ist Freitag, schönes Wetter und wir haben keine Schule. Philip, Henry, Fares und ich haben uns in Meilen getroffen, um zusammen auf dem Pfannenstiel zu grillieren. Ich war glücklich, dass ich nach langer Zeit meine Kollegen wiedersehen durfte. Es war ein sehr witziger und schöner Tag, obwohl das Grillieren nicht so gut ging wie gedacht. 

 

24.05.2020, Henry

Heute ist der 43. Tag, an dem ich irgendeine Art von Sport mache. Ich habe mir vor sechs Wochen zum Ziel gesetzt, jeden Tag entweder zu joggen, Fussball zu spielen oder Fahrrad zu fahren. Das gab mir jeden Morgen einen Grund, aus meinem Bett aufzustehen und keine «Couch-Potato» zu werden, wie meine Mutter mir immer sagt. Die ersten zwei Wochen waren sehr einfach, da ich noch sehr motiviert war. Somit konnte ich mit dieser Motivation meine Ausdauer gut aufbauen. Obwohl ich ab der vierten Woche gar keine Lust mehr hatte, kann ich jetzt stolz verkündigen, dass ich jeden Tag streng durchgezogen habe.

 

23.05.2020, Philipp

Heute war ein ganz «gewöhnlicher» Tag. Ich stehe auf und esse etwas. Verbringe den Morgen vor meinem Monitor und probiere, etwas zu lernen. Der Nachmittag sieht nicht viel anders aus. Abends verbringe ich die meiste Zeit Netflix schauend. Ungefähr um 20 Uhr kommen meine Kollegen «online» und wir zocken ein bisschen. Ich mache auch ab und zu Sport.

24.05.2020, Chris 

Heute war ein normaler Tag. Ich stand um 9 Uhr auf. Ich frühstückte etwas Proteinreiches und ging Velofahren. Danach sass ich an meinem Schreibtisch und erledigte bis zum Mittagessen meine Hausaufgaben. Den ganzen Nachmittag lang spielte ich am PC. 

 

05.06.2020, Ella

Heute ist Sonntag. Es ist ein extrem heisser Tag, also entschied ich mich, an den See schwimmen zu gehen. Zuerst war ich einfach mit zwei Freunden dort, aber der See war voller Leute und wir kannten auch viele. Niemand nimmt den Virus noch ernst. Nachdem ich mit Freunden dann noch am Greifensee baden war, bin ich am Abend auch mit meiner Schwester und den engsten Freunden in Küsnacht schwimmen gegangen. Es war schon 23 Uhr, deshalb gab es fast keine Leute mehr zu sehen, ausser manche, die vorbeijoggten.

 

08.06.2020, Molly

Ich versuche, den Virus so wenig wie möglich beim Namen zu nennen. Denn Harry Potter lehrte mich, dass Namen Macht haben. Kein anderer Name trägt so viel Verantwortung, macht so viel Angst wie dieser hier. Ich bin kein Feigling, wenn ich es nicht sage, sondern gescheit in meinem Entscheid, nichts zu sagen. Die Quarantäne hat mich viele Sachen gelehrt, von welchen ich mir noch nicht sicher war, dass ich sicher darin sein könnte. Dass ich doch lieber nicht zuhause bin, dass ein Zopfbrot perfektioniert werden kann, dass mein Hund gerne auf meinem Schoss sitzt (vor allem, wenn es keinen Platz gibt), dass Träume und Kunstwerke die schönsten Gedichte aus mir herausreissen können. Ich bin mir jetzt sicher, dass ich besser alleine leben kann, dass mein Zuhause nicht mehr das Zuhause meiner Familie ist, dass wiederum meine Familie nicht die Personen sind und die Ideale haben, welche ich immer gedacht habe. 

 

07.07.2020, Sahaana

Hüt isch scho Zistig, churz vor de Ferie. Im Feriemodus bin ich scho sit März. Langsam han ich uf nüt meh Bock, aber lahns nöt zue. Wenn ich scho dra denk, dass ich nach de Ferie eifach nüm mini Klass meh han, wird ich sad. Ja aber, was chan ich au dagege mache, isch jetzt halt so. Deshalb gnüss ich no die zwei letzte Täg. Hoff, dass ich alli no als e ganzi Klass gseh chan und all au gsund sind. Wär schad, wenn öpert nöt chönt cho. E lustigi Zit häm mir alli zämme ka bis CORONA uftaucht isch und eus alli dArbetswuche zerstört hät. SWetter isch mega schön, sött mich vilicht mal dazue zwinge use zgah. Ich hät alles gmacht nur um id Schuel gah zchöne. Das ich mal so öpis säg, hät ich selber nie denkt, krass gell.